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Weiter Unklarheit über sofortigen Bombenstopp

■ Das mögliche Kriegsende wird zwiespältig aufgenommen: Grüne wollen „Schweigen der Waffen“, SPD warnt weiter vor Milosevic. Kirche fordert: Jetzt den Vertriebenen helfen

Berlin (taz/dpa/ap) - Führende Politiker der Grünen haben widersprüchlich auf das Einlenken Jugoslawiens im Kosovo-Krieg reagiert. Die Allianz dürfe „nicht stur an der Aufrechterhaltung des militärischen Drucks um jeden Preis festhalten“, erklärte der rechtspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Volker Beck. Die verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion, Angelika Beer, warnte ihre Partei hingegen überraschend vor „hektischen“ Forderungen nach einem sofortigen Ende der militärischen Aktivitäten.

„Gerade in dieser heiklen Situation, wo Milosevic unter Druck steht“, sagte Angelika Beer, „müssen wir ruhig und besonnen die nächsten Tage noch warten können.“ Ähnlich äußerte sich der Staatsminister im Auswärtigen Amt, der Bündnisgrüne Ludger Volmer: „Der sofortige Bombenstopp scheint mir obsolet zu sein in einer Situation, wo es einen zweiseitig verhandelten Frieden gibt, binnen weniger Tage.“ Der Druck müsse bis zur Umsetzung der Vereinbarung aufrechterhalten werden, „alles andere wäre fahrlässig“, meinte er.

Nach Volmers Einschätzung wird die neue Entwicklung hin zu einer Friedenslösung auch bei den Grünen wieder Ruhe einkehren lassen. Die beiden Parteisprecherinnen der Grünen, Gunda Röstel und Antje Radcke, forderten salomonisch die „unverzügliche Niederlegung der Waffen“ nach dem Durchbruch bei den Friedensbemühungen. Nach dem Einlenken Milosevics hatten Röstel am Donnerstag noch den sofortigen Stopp des Bombardements verlangt. Notwendig sei eine „unverzügliche militärische Umsetzung der politischen Vereinbarungen“, teilten Röstel und Radcke mit.

Als „Übergang von der Logik der Waffen zur Logik der Politik“ begrüßte die SPD-Fraktion des Bundestages die neue Entwicklung. Noch könnten aber verschiedene Hände in die Speichen des anrollenden Friedenswagens greifen, meinte der stellvertretende Fraktionschef Gernot Erler. Milosevic könnte bei der Umsetzung seiner Zusagen zögern.

Der Hamburger Friedensforscher Dieter Lutz fand, „vieles darauf hin, daß wir jetzt Frieden bekommen werden“. Der Frieden sei die letzte Chance für Milosevic, an der Macht zu bleiben.

Auch der Bosnien-Beauftragte der Bundesregierung, Hans Koschnick, sieht eine Chance für Frieden. Das Schweigen der Waffen bedeute noch keinen Frieden, aber aus der Waffenruhe könne Frieden entstehen.

Das Ende der Gewalt „scheint greifbar nahe“, erklärte unterdessen der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Manfred Kock. Das „geduldige“ und „umsichtige“ Vorgehen der Vermittlungsdelegation habe dazu geführt, daß neuer politischer Handlungsspielraum entstanden sei, sagte Kock, der rheinischer Präses ist. Nun müßten die humanitären Hilfsaktionen in allen vom Krieg betroffenen Gebieten sofort verstärkt werden. Es sei wichtig jene Menschen zu erreichen, die bisher von jeder Versorgung abgeschnitten waren.

Der Präses sprach den Wunsch aus, daß den durch Vertreibung und Krieg traumatisierten Menschen geholfen werden könne. Er hoffe, daß die „Verwundungen an Leib und Seele“ nicht zu neuem Haß und zu neuen Gewaltausbrüchen führten. Die Kirchen böten sich dafür an, die bevorstehenden Rückführungen von Flüchtlingen mit ihren Hilfsdiensten, die sich bereits in afrikanischen Krisengebieten bewährt hätten, zu unterstützen. cif

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