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Friede- ein hehrer Begriff

Der „Sieg“ der Nato könnte sich angesichts der antiwestlichen Reflexe auf dem Balkan als Pyrrhussieg erweisen. Der Westen muß schon entscheidend zur Demokratisierung Jugoslawiens beitragen  ■ Von Andreas Zumach

„Friedensplan“ – ein viel zu hehrer Begriff für das Zwölf-Punkte-Dokument, dem Belgrad am Donnerstag zugestimmt hat. Die allseits große Erleichterung über diese Zustimmung ist zwar verständlich. Und sie wird noch größer sein, sollten die serbischen „Sicherheitskräfte“ in den nächsten Tagen ihre mörderische Vertreibungsgewalt gegen die Kosovo-Albaner tatsächlich einstellen, mit dem Rückzug aus der Unruheprovinz beginnen und die NATO dann auch ihren Luftkrieg gegen Restjugoslawien beenden. Doch hehre Friedensrhetorik und allseitige Erleichterung sollten weder die Vorgeschichte vernebeln noch Illusionen für die Zukunft erwekken: Für die jetzt erzielte Vereinbarung von Belgrad haben alle am Konflikt beteiligten Seiten in den letzten 15 Monaten seit Beginn der bewaffneten Eskalation im Kosovo einen vermeidbaren, viel zu hohen Preis bezahlt. An erster Stelle die Kosovoalbaner, aber in den letzten elf Wochen auch die serbische und montenegrinische Zivilbevölkerung. Und von einem Zustand, der die Beschreibung „Frieden“ wirklich verdient, sind Serbien/Montenegro wie auch andere Staaten des ehemaligen Jugoslawien noch sehr weit entfernt.

Der Luftkrieg hat erhebliche Zerstörungen lebenswichtiger Infrastruktur sowie Tausende Opfer unter der Zivilbevölkerung hervorgerufen. Zugleich trugen die NATO-Luftangriffe elf Wochen lang zur Verschärfung des mörderischen Vertreibungs-und Vernichtungskrieges der serbischen „Sicherheitskräfte“ gegen die Kosovo-Albaner bei, anstatt ihn schnell zu beenden. Angesichts dieser düsteren Bilanz ist es fast zynisch, jetzt von einem „Erfolg“, gar einem „Sieg“ der NATO zu sprechen. Längerfristig könnte sich dieser Sieg sogar als Pyrrhus-Sieg erweisen angesichts der anti-westlichen Reflexe und mentalen Verwerfungen, die die Luftangriffe in den Köpfen nicht nur vieler SerbInnen, sondern auch anderer BewohnerInnen der Balkanregion ausgelöst oder bestärkt haben.

Natürlich haben die Auswirkungen der NATO-Luftangriffe Milosevic nicht auf Dauer völlig kalt lassen können. Längerfristig hätte der wachsende Unmut in der Bevölkerung seine Machtbasis bedroht. Doch der entscheidendere Grund für seine Zustimmung zum jetzigen Zeitpunkt ist, daß nach den Beratungen der drei Kosovo-Beauftragten Viktor Tschernomyrdin, Strobe Talbott und Martti Ahtisaari Mitte der Woche in Bonn zum erstenmal eine fast völlig geschlossene Haltung zwischen Rußland und der NATO existierte – und zwar nicht nur über allgemeine Prinzipien, sondern auch in wesentlichen Detailfragen. Es gab für Milosevic keine Lücke mehr, er konnte Rußland und die westlichen Staaten nicht mehr gegeneinander ausspielen. Es bleibt das große Versäumnis der NATO und insbesonders ihrer Führungsmacht USA, sich um eine solche gemeinsame Haltung nicht oder zumindest nicht ernsthaft genug schon in früheren Phasen des Kosovo-Konfliktes bemüht zu haben. Durch rechtzeitige Herstellung einer gemeinsamen Haltung zwischen NATO und Rußland hätte die Eskalation des Konfliktes vielleicht vermieden werden können.

Anders als noch im Oktober letzten Jahres bei seiner Vereinbarung mit US-Unterhändler Richard Holbrooke erteilte Milosevic seine Zustimmung diesmal nicht in einem Treffen mit Abgesandten aus Washington oder gar aus dem NATO-Hauptquartier in Brüssel, sondern gegenüber Vertretern Rußlands und der EU. Bedeutet dies nun einen diplomatischen Erfolg Europas über die USA? Die – eher zufällige – zeitliche Parallele der Belgrader Gespräche mit dem Kölner EU-Gipfel verstärkt derartige Interpretationen. Doch in der Substanz sind sie nicht haltbar. Der Inhalt des Dokuments, mit dem Ahtisaari und Tschernomyrdin am Mittwoch von Köln nach Belgrad flogen, war vorab bis auf das Komma mit dem stellvertretenden US-Außenminister Talbott abgestimmt. In seinen entscheidenden Kernpunkten ist das Dokument identisch mit den fünf ursprünglichen Forderungen der NATO – mit Ausnahme der zwischen NATO und Rußland weiterhin nicht endgültig geklärten Modalitäten für das Kommando der Kosovo-Truppe.

Bei der Regelung dieses Problems ist allein entscheidend, daß im Ergebnis die vorgesehenen 10.000 russischen Soldaten im gesamten Kosovo gemischt mit den 48.000 Soldaten aus NATO-und anderen Staaten stationiert werden, und nicht alleine in einem oder mehreren Teilgebieten der südserbischen Provinz. Denn in diese Teilgebiete würden mit Sicherheit keine albanischen Flüchtlinge und Vertriebenen zurückkehren. Es drohte die ethnische Aufspaltung des Kosovo zwischen Serben und Albanern.

Nach Klärung dieser und anderer Fragen, die im 12-Punkte-Plan noch nicht geregelt sind, sowie nach dem vollständigen Rückzug der serbischen „Sicherheitskräfte“ aus dem Kosovo beginnen für Europa, Rußland und die NATO erst die eigentlichen Herausforderungen auf dem Weg zum Frieden. Die schnelle Räumung der Minen, mit der die serbischen „Sicherheits“kräfte das Territorium des Kosovo verseucht haben, der unverzügliche Aufbau zumindest von winterfesten Übergangsbehausungenin in den zerstörten Dörfen – nur wenn all dieses in den nächsten Monaten passiert, besteht eine Chance, daß zumindest ein substantieller Teil der knapp eine Millionen Kosovo-Flüchtlinge im Ausland und der rund 600.000 intern Vertriebenen bis zum Beginn des nächsten Winters wieder in ihre Heimat zurückkehren können.

Der gesamte Wiederaufbau lebenswichtiger zerstörter Infrastruktur nicht nicht nur im Kosovo, sondern darüber hinaus im restlichen Serbien und in Montenegro wird auch bei allergrößten Anstrengungen kaum bis zum Ende dieses Jahres zu bewältigen sein. Daher wird die Bevölkerung Restjugoslawiens – auch nach Rückkehr sämtlicher Flüchtlinge und Vetriebenen in ihre Vorkriegswohnorte – auf absehbare Zeit auf erhebliche humanitäre Versorgungsleistungen von außen angewiesen sein. Eine massive materielle und humanitäre Unterstützung ist notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für Friede in Restjugoslawien. Er wird erst herrschen nach einer Demokratisierung, und wenn Milosevic nicht mehr an der Macht ist. Welchen Beitrag sie dazu leisten wollen, haben Europa, Rußland und die NATO bislang noch nicht entschieden.

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