: Algeriens Islamisten strecken die Waffen
Der bewaffnete Arm der Islamischen Heilsfront (FIS) will künftig mit der staatlichen Armee zusammenarbeiten ■ Von Reiner Wandler
Madrid (taz) – Der bewaffnete Arm der algerischen Islamischen Heilsfront (FIS) gibt auf. „Die Armee des Islamischen Heils (AIS) beschließt, ihre bewaffneten Aktionen endgültig einzustellen und ihre Kräfte für die Verteidigung des Volkes unter der Leitung der staatlichen Autoritäten zur Verfügung zu stellen“, heißt es in einem am Sonntag im algerischen Staatsfernsehen verlesenen Brief des AIS-Chefs Madani Meserag an den neuen Präsidenten Abdelasis Buteflika.
Der von der AIS seit 1. Oktober 1997 eingehaltene Waffenstillstand endet damit in einer Auflösung der Untergrundorganisation.
Alles deutet darauf hin, daß AIS und FIS vor diesem Schritt ausführliche Kontakte mit Vertretern von Staat und Armee unterhalten haben. Nur so ist die unverzügliche Reaktion des Präsidentialamts auf das Schreiben zu erklären. „Der Staatschef hat den Premierminister beauftragt, ein Gesetz auszuarbeiten und im Parlament einzubringen. Dieser Gesetzestext wird Milde gegenüber all jenen Personen walten lassen, die sich dem Ziel verpflichtet fühlen, die Sicherheitsfragen zu lösen und die Stabilität wiederherzustellen“, heißt es in der Stellungnahme.
Als ersten Schritt in Richtung Aussöhnung erwartet der Sprecher der FIS-Auslandsführung, Abdelkrim Ouldadda „die Freilassung aller aus politischen Gründen Inhaftierten insbesondere unserer Führer“. Gemeint sind der unter Hausarrest sitzende Parteichef Abassi Madani, sowie die an einem unbekannten Ort festgehaltenen Nummer zwei der Partei, Ali Benhadsch. Fernziel ist für Ouldadda die Wiederzulassung der 1992 nach ihrem Wahlsieg verbotenen FIS.
Die algerische Presse rechnet damit, daß ein Gnadengesetz bereits in den nächsten Tagen vorgelegt wird. Darin dürften zumindest diejenigen AIS-Kämpfer, denen keine direkte Beteiligung an Tötungsdelikten vorgeworfen wird, amnestiert werden. Die großen Zeitungen des Landes spekulieren bereits seit Monaten über eine Lösung, wie sie in einigen lateinamerikanischen Ländern vorexerziert wurde: Die Übernahme größerer Kontingente von AIS-Mudschaheddin in die Reihen der Armee.
Ouldadda möchte eine solche Lösung weder bestätigen noch dementieren. „Keine Details, die müssen Armeeführung und AIS aushandeln“, sagt er. Bereits Anfang der vergangenen Woche hatte die Untergrundorganisation Staatschef Buteflika in einem offenen Brief ihre „Zusammenarbeit“ angeboten. Ziel es es „abweichlerische kriminelle Elemente“ zu zerschlagen. Gemeint sind die radikalen Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA).
Seit dem AIS-Waffenstillstand 1997 kam es immer wieder zu gemeinsamen Aktionen offizieller Einheiten der Armee und der AIS gegen die GIA, die vor allem auf dem Land weiterhin Angst und Terror verbreiten. Allein am vergangenen Wochenende waren mindestens 24 Tote zu beklagen.
Bei den Vereinigung der Opfer des Terrorismus löst die Aussicht auf eine Amnestie für die AIS-Kämpfer alles andere als Begeisterung aus. Sie rufen für Donnerstag in der Hauptstadt zu einer Demonstration „gegen das Komplott, das auf dem Rücken derjenigen geplant wird, die fürs Vaterland gestorben sind“. Ihr Ziel: Teile der Abgeordneten der Regierungskoalition dazu zu bewegen, gegen ein Gnadengesetz zu stimmen.
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