piwik no script img

Hier kiffte Nina Hagen

Vor 20 Jahren eröffnete das erste „alternative“ Schwulenlokal Hamburgs  ■ Von Jakob Michelsen

„Die Polizei kam immer erst, wenn alles vorbei war.“ Damals, als das Café Tuc Tuc noch in den Kinderschuhen steckte und Schlägertrupps den Schwulentreff regelmäßig überfielen. Gerd Hamann erinnert sich noch recht gut an diese Zeit. Damals, Anfang der 80er Jahre, hieß er auch Gerda Grauslig und arbeitete noch als Tresenhilfe im Tuc Tuc. Kamen die Schläger, dann griff das Personal mit Latten und Tränengas zur Selbsthilfe und organisierte Telefonketten. „Das klappte gut, wir hatten viel Solidarität.“

Heute erinnert nur noch ein grünes Neonschild an einem Gebäude in der Altonaer Oelkersallee an das Tuc Tuc. Vor zwanzig Jahren, als das Café eröffnete, wollten die sechs Gründer eine Alternative zu den piefigen Schwulenkneipen schaffen. Verdunkelte Fenster, Klingelknöpfe und Türspione – das war nicht ihr Ding. Das Tuc Tuc wurde Hamburgs erstes Homo-Lokal mit einsehbaren Räumlichkeiten. Das Café wollte mehr sein als ein Laden fürs Anmachen und Abschleppen, es wollte all jenen einen Ort bieten, die sich kritisch mit gesellschaftlichen Strukturen auseinandersetzten.

Schnell wurde das Tuc Tuc zum Szenetreff. Politische Gruppen wie die „Hamburger Aktionsgruppe Homosexualität“ (HAH) oder die Jugendgruppe „Schwusel“ trafen und stritten sich hier. Die aufblühende schwule Theater- und Kabarettszene nutzte eifrig die Bühne. Georgette Dee hatte an der Oel-kersallee ihren ersten öffentlichen Auftritt. Und die „Familie Schmidt“ mit Corny Littmann, Ernie Reinhardt (alias Lilo Wanders) und Gunter Schmidt (heute „Herrchens Frauchen“) nahm homo- und heterosexuelles Spießertum aufs Korn.

Littmann, seit 1988 Chef des Schmidt Theaters, machte auch schon mal den Türsteher an Discoabenden – bezeichnend für die zuweilen fließenden Grenzen zwischen Personal, KünstlerInnen und Publikum. Zu den vielen – nicht nur schwulen – illustren Gästen, die das Tuc Tuc beehrten, gehörte auch der damals legendäre Hamburger Tuntenchor oder die Theatergruppe Bloolips aus London. Viele von ihnen standen für eine provokant-trashige Tuntenkultur, die aus der heutigen Schwulenszene weitgehend verschwunden ist.

Die schillernde Atmosphäre zog auch ein buntes Heteropublikum an. Stammgast war beispielsweise Nina Hagen, die, so erinnert sich Hamann, „meist auf dem Boden lag und kiffte“. Zuweilen enterte auch die Schickimicki-Szene den Laden, um die schrillen Schwulen zu begaffen.

1986 ging es dann bergab mit dem Tuc Tuc. Ein schwelender Konflikt innerhalb des Betreiber-Teams, bei dem es sowohl um inhaltliche als auch persönliche Streitigkeiten ging, kulminierte in Prügeleien und Gerichtsprozessen. Der „Kulturflügel“ unter Führung von Effi Effinghausen verließ das Tuc Tuc und machte ein Café in St. Georg auf, das heute wohl bekannteste schwule Café Gnosa. Effi starb vor einigen Jahren an Aids, wie viele, die einmal mit dem Tuc Tuc verbunden waren.

Der Stern des Tuc Tuc begann zu sinken. Gerd Hamann betrieb das Café ab 1989 alleine. Noch bis Anfang der 90er Jahre blieb die monatliche Disco ein wichtiger Anziehungspunkt, der sich wohltuend vom hippen Jugendkult abhob. Als die staatliche Wohnungsgesellschaft Saga dem Café Anfang 1995 wegen Mietschulden kündigte, gab Hamann auf. Das Ende einer der wichtigsten schwulen Institutionen Hamburgs war der lokalen Homopresse nicht einmal einen Nachruf wert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen