: Schwarzer Westen, roter Osten, grüne Mitte
■ Das Resultat der Europawahl zeigt die Hauptstadt einmal mehr als bunten Flickenteppich: Dunkelrot-grüne Mehrheit in Prenzlauer Berg, Grüne in Kreuzberg stärkste Partei
Berlin wählt anders. Das Resultat der Europawahl erinnert die Bonner Politiker eindrucksvoll daran, daß sie nach der Sommerpause in eine Hauptstadt ziehen, deren politische Landschaft im bundesweiten Vergleich die ganz große Ausnahme ist. In den Innenstadtbezirken vermischen sich Ost und West wie nirgendwo sonst. In den Westberliner Außenbezirken konzentriert sich die seltene Spezies larmoyanter Einheitsverlierer (West). Und an der östlichen Peripherie dominieren jene Wähler, die an der DDR nichts Schlechtes fanden, im neuen System ökonomisch weich gelandet sind – und trotzdem PDS wählen.
So ist das Berliner Ergebnis selbst für den bundesweiten Wahlsieger, die CDU, wenig schmeichelhaft. Zwar konnte sich die Union auch in der Hauptstadt gegenüber der Bundestagswahl um 11,3 Prozentpunkte auf 35,0 Prozent verbessern. Doch ausgerechnet in jenen Bezirken, die als Laboratorium des vereinten Deutschland gelten, spielte die Partei des Einheitskanzlers auch bei der Europawahl keine Rolle. Weit abgeschlagen dümpelt sie dort bei Werten um 15 Prozent. Ihre Hochburgen hat die CDU dagegen am westlichen Stadtrand, in den großbürgerlichen Villen Zehlendorfs oder in den kleinbürgerlichen Reihenhäusern Tempelhofs, wo sie mit 51,1 Prozent ihr Spitzenergebnis errang. Dort leben jene Berliner, die seit dem Fall der Mauer nichts mehr fürchten als eine Machtübernahme durch die PDS-„Kommunisten“: Wessis, die sich finanziell zurückgesetzt fühlen, seit die Investitionen des Landes vor allem in den Ostteil fließen. Dies Ressentiment gegen die Einheit leitet die Berliner CDU auf ihre Mühlen – und profiliert sich so als PDS des Westens.
Auch zahlenmäßig liegen diese beiden Parteien in ihren Hochburgen dicht beieinander. Während die CDU in Westberlin auf 43,1 Prozent kam, errang die PDS im Osten 40,9 Prozent der Stimmen – fast doppelt so viele wie in den übrigen neuen Ländern. In den drei Plattenbaubezirken Marzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf errang die PDS Traumergebnisse zwischen 42 und 48 Prozent – und verbuchte damit gegenüber ihrem Zweitstimmenanteil bei der Bundestagswahl noch einmal zweistellige Zuwächse. Demokratische Sozialisten und Union verdanken ihr gutes Abschneiden gleichermaßen dem Umstand, daß ihre Klientel staatsgläubiger Kleinbürger gewohnheitsmäßig zur Urne schreitet.
Besonders kurios nimmt sich in westdeutschen Augen das Ergebnis im Szenebezirk Prenzlauer Berg aus. Dort helfen Ost-West-Kategorien kaum weiter, weil rund die Hälfte der angestammten Bevölkerung in den vergangenen zehn Jahren Zuwanderern aus dem Rest der Republik gewichen ist. Im Musterbezirk der Einheit landete die CDU mit 15,5 Prozent abgeschlagen auf dem vierten Platz, die SPD schnitt mit mageren 20,2 Prozent nur wenig besser ab. An der Spitze der Wählergunst rangiert die PDS mit 35,1 Prozent, gefolgt von den Grünen mit 20,2 Prozent. In dem Bezirk stellen also die beiden Berliner Oppositionsparteien die Mehrheit.
Allen Unkenrufen zum Trotz konnten die Grünen auch in ihren Westberliner Hochburgen Anteile hinzugewinnen. In Kreuzberg, Schöneberg und Tiergarten, wo die Partei die Bezirksbürgermeister stellt, liegt die Partei deutlich über 20 Prozent. Ihr Spitzenergebnis erreichten sie in Kreuzberg mit 34,4 Prozent. Gegenüber der Bundestagswahl ist das ein Gewinn von 4,6 Prozentpunkten. Auch die PDS darf sich in der Westberliner Szenehochburg über sensationelle 9,7 Prozent freuen. In Schöneberg und Tiergarten verhalfen ihr offenbar kriegsmüde Anhänger der Grünen zu Anteilen von rund 5 Prozent. Im Westteil der Stadt ist das aber die Ausnahme, im Schnitt kommt die Partei dort nur auf 3,5 Prozent. Von den CDU-Ergebnissen im Osten ist die PDS im Westen noch ein Stückchen entfernt. Ralph Bollmann
Die Berliner CDU leitet das Ressentiment gegen die Einheit auf ihre Mühlen – und hat sich als PDS des Westens profiliert
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