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Die Schonfrist für Rot-Grün ist endgültig vorbei

■ Wahlanalyse der Forschungsgruppe Wahlen: Union und PDS sind die klaren Gewinner

„Die Schonfrist für die Bonner Regierungsparteien ist endgültig abgelaufen.“ Das ist die Kernaussage der Analyse der Europawahl in Deutschland durch die Forschungsgruppe Wahlen. Die Union habe die Unzufriedenheit der Menschen über die Arbeit in Bonn bündeln können. Zudem hätten CDU/CSU einen Kompetenzvorsprung in der Europa- und der Wirtschaftspolitik. Verluste mußte Rot-Grün vor allem bei den unter 30jährigen einstecken – die Union profitierte hier im Gegenzug. Die Analyse im einzelnen:

„Die Europawahl wurde von den Deutschen eher als eine Abstimmung über die Arbeit der rot-grünen Koalition in Bonn als über die Arbeit des Europaparlaments genutzt. Die aus der Unzufriedenheit mit der Regierung resultierenden deutlichen Gewinne der Unionsparteien ergeben sich in erster Linie aus der relativ besseren Mobilisierung ihrer Anhänger. Auch bei früheren Europawahlen hatte die Union Mobilisierungsvorteile.

Die mit Abstand niedrigste Wahlbeteiligung bei einer bundesweiten Wahl macht deutlich, daß es den Parteien und Politikern bisher nicht gelungen ist, der Bevölkerung die Wichtigkeit der Entscheidungen auf europäischer Ebene nahezubringen. Für 58 Prozent der Wähler war bei ihrer Stimmabgabe die Bundespolitik der entscheidende Faktor, nur 34 Prozent gaben an, die Europapolitik sei für sie wichtiger gewesen. Auch das grundsätzliche Interesse für die Europapolitik ist denkbar niedrig: Rund drei Viertel aller Wähler interessieren sich eigenen Angaben zufolge nicht dafür.

Zwar resultiert der große Erfolg der Unionsparteien auch aus einem europapolitischen Kompetenzvorsprung, vor allem aber konnte die Union von der hohen Unzufriedenheit mit der Regierungsarbeit profitieren und als große Oppositionspartei diesen Protest bündeln, während die SPD ihre Anhänger schlecht mobilisiert hat. Zudem beurteilen die Bundesbürger die wirtschaftlichen Aussichten skeptischer. Bei der Wirtschaftskompetenz trauen sie den Unionsparteien anders als bei der Bundestagswahl im September 1998 inzwischen wieder mehr zu als der SPD. Die Union erzielt ihre höchsten Gewinne in Bayern (+15,1), hier kommt sie auf 64 Prozent, und in Mecklenburg-Vorpommern (+11,8), wo eine Koalition von SPD und PDS regiert. Sie gewinnt vor allem bei den unter 30jährigen und legt dort 19 Prozentpunkte zu. Korrespondierend dazu fallen bei den unter 30jährigen die Verluste von SPD und Grünen aus. Die Grünen verlieren hier fast die Hälfte ihres Anteils, die SPD wird nur noch von einem Viertel der unter 30jährigen gewählt.

Neben der CDU/CSU zählt eindeutig die PDS zu den Gewinnern der Wahl. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, daß sie im Osten Deutschlands als Regionalpartei von einer überdurchschnittlichen Mobilisierung ihrer Anhänger profitierte. Denn in den neuen Ländern liegt die PDS, die erstmals im Europaparlament vertreten sein wird, mit 23 Prozent nur denkbar knapp hinter der SPD, die dort auf 23,6 Prozent kommt. Die CDU ist im Osten mit 40,6 Prozent jetzt wieder deutlich stärkste Kraft geworden. Damit hat die Europawahl auch gezeigt, daß nach wie vor gravierende Unterschiede zwischen der politischen Kultur in den alten und neuen Bundesländern bestehen. Denn im Westen kommt die PDS trotz Zugewinnen (+0,7) nur auf 1,3 Prozent, die SPD aber auf 32,6 Prozent.

Auch die Grünen, die ihr schlechtestes Europawahlergebnis seit 1979 hinnehmen mußten, sind im Westen mit 7,4 Prozent sehr viel erfolgreicher als im Osten mit lediglich 2,9 Prozent. Ihre Arbeit in der Bundesregierung wird schon seit Beginn des Jahres sehr negativ beurteilt. Die FDP blieb demgegenüber im Westen wie im Osten deutlich unter der Fünfprozentmarke, was die strukturellen Probleme der Partei ebenso unterstreicht wie das mangelnde programmatische Profil. Spielt die FDP, wie dies bei der Europawahl der Fall war, als potentieller Koalitionspartner keine Rolle, dann kann sie derzeit bei Wahlen in Deutschland nicht die Fünfprozenthürde überspringen.“

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