Die Neue Mitte ist da, wo Schröder ist

Der Kanzler ist ungeduldig. Es wird immer deutlicher, daß er die jüngste Wahlniederlage nutzt, um die SPD auf seinen Kurs zu zwingen. Verbündete dafür sucht der Genosse der Bosse bei den „Seeheimern“, dem rechten Flügel der SPD  ■ Aus Bonn Markus Franz

Bei einer „Spargelfahrt“ auf dem Vater Rhein verteilte der Bundeskanzler Komplimente. Zum Seeheimer Kreis, dem staats- und kanzlertragenden rechten Flügel der SPD, der zum Ausflug geladen hatte, sagte Gerhard Schröder, daß er diesen Kreis „als Garant für eine stabile Regierungsfähigkeit“ sehe. Als wenn das noch nicht genug des Lobes wäre, legte der Kanzler nach. Er hoffe, die Seeheimer sorgten dafür, daß „unsere Regierungszeit nicht eine Episode bleibt, sondern eine Epoche wird“. Das hörte sich nach einem dieser Politikersprüche an, und doch steckt dahinter die Angst des Bundeskanzlers, daß es mit der Regierungsherrlichkeit schneller vorbei sein könnte als gedacht.

Der Kanzler und Parteivorsitzende wird ungeduldig. So scheut er sich nicht, große Teile seiner Partei vor den Kopf zu stoßen. Schröder setzt auf die Parteirechten als seine Verbündeten – die anderen sind ausgegrenzt. Schon in der Fraktionssitzung am Dienstag hatte der Kanzler Tacheles geredet: „Ich werde nicht länger zusehen, daß man meinen Kopf abbildet und meinen Namen nimmt für eine Politik, die nicht die meine ist. Das geht nicht, das werde ich nicht mit mir machen lassen.“

Schröder das Opfer, die Parteilinken die Schuldigen für das schlechte Erscheinungsbild der Regierung? Es wird immer deutlicher, daß der SPD-Chef seine Partei auf einen neuen Kurs trimmen will. Und das innerparteilich umstrittene Schröder/Blair-Papier gibt die Richtung dazu vor. Erst hieß es beschwichtigend, das Papier sei nur ein Denkanstoß, und entschuldigend wurde angemerkt, daß es nur deshalb drei Tage vor der Europawahl veröffentlicht wurde, weil Blair es so gewünscht habe. Aber nun kann es dem Kanzler mit der Umsetzung nicht schnell genug gehen. „Das ist nicht irgendein Anstoß“, sagte er vor der Fraktion, „es ist mein Papier, das Papier des Parteivorsitzenden. Mir geht es um die Neue Mitte, um die ökonomische Kompetenz. Wir dürfen nicht zulassen, daß uns die Neue Mitte wegbricht.“

Auf der Bötchenfahrt bekräftigte Schröder, daß die SPD jetzt verstärkt auf die Wirtschaft setzen will. Die Europawahl habe gezeigt, daß die SPD an ökonomischer Kompetenz verloren habe. Auf diese Weise sei aber die Neue Mitte nicht zu gewinnen, und wer die verliere, verliere die Wahlen. Was daraus für die konkrete Politik zu folgern ist, sagte der Kanzler auch: „Wer glaubt, man kann in erheblichen Maße Ökosteuern anheben, der irrt.“

Und was ist mit der Gerechtigkeit? SPD-Vize Thierse forderte die SPD auf, ihr soziales Profil zu schärfen. Deutlicher wurde der Parteilinke Detlev von Larcher. Er wolle nicht, daß „die SPD das Gesicht von Hombach bekommt“. Eine Antwort darauf gab Schröder später den Seeheimern: „Man soll meinen Kanzleramtsminister nicht stellvertretend für mich verantwortlich machen, auch wenn er manchem auf die Füße getreten ist. Er hat das in meinem Namen und mit seinem Gewicht getan.“

An Bodo Hombach, dem maßgeblichen Autor des Schröder/Blair-Papiers, führt also kein Weg vorbei. Die Führungsspitzen der SPD, der Fraktionsvorsitzende Peter Struck und Bundesgeschäftsfüher Ottmar Schreiner haben das, um mit Schröder zu sprechen, „verstanden“. Beide verteidigten das Papier als wichtigen Diskussionsanstoß. Schreiner will es nun gezielt in die innerparteiliche Diskussion einspeisen. Eine „Diskussionsreihe Neue Mitte“ soll sich damit beschäftigen und auch eine „Projektgruppe Europa“. In dem neuen Grundsatzprogramm, das Schreiner gestern ankündigte, soll es dann wohl seinen Niederschlag finden. Aber bis es soweit sind, gibt es noch einige Wahlen zu verlieren. Und es klang schon ein wenig zweifelnd, als der Bundesgeschäftsführer sagte: Es sei jetzt die „Kunst“ gefragt, „ökonomische Kompetenz aufzubauen, ohne soziale Kompetenz abzugeben“. Ob diese Kunst in der SPD jemand beherrscht, sagte er nicht.