piwik no script img

Martina aus der Steinzeit kam

Der Frauenfußball hat vor seiner dritten WM eine spielerische Evolution hinter sich. DFB-Kapitänin Voss hat überlebt. Weil sie ihr Spiel weiterentwickelt hat  ■   Von Peter Unfried

Es begab sich dies vor vielen, vielen Jahren. Damals spielten noch Menschen Fußball, die heute alle längst im Ohrenstuhl sitzen (außer Lothar Matthäus, versteht sich). Beckenbauer war eben Teamchef geworden, Kohl noch nicht lange Kanzler, und die erste WM im Frauenfußball war noch sieben Jahre entfernt. In diesem Herbst 1984 gab Martina Voss ihr Debüt in der DFB-Auswahl.

Seither hat sich einiges getan, auch im Frauenfußball, aber Voss ist immer noch da, um in den USA ihre dritte WM zu spielen. Wenn man sie fragt, was sich verändert hat, sagt sie: „Technik, Kampfkraft, Zweikampfverhalten, Trainingsintensität.“ Eigentlich alles – es ist ein anderes Spiel geworden.

Damals war Voss eine Duisburger Straßenfußballerin mit außergewöhnlichem Talent und Engagement. Das reichte. Heute ist die Sportart strukturiert, Talente werden von DFB-Trainerin Tina Theune-Meyer systematisch und früh gesichtet und ausgebildet. Das Niveau des Spiels ist bei jedem Großereignis gestiegen, und Voss hat jedesmal ihr eigenes mitangehoben.

Sie ist Rekordnationalspielerin (119 DFB-Spiele), hat mehr Länderspiele als Klinsmann oder Bekkenbauer. Sie hat vier EM-Titel gewonnen, eine Vize-WM, fünf deutsche Meisterschaften, vier DFB-Pokalsiege. Sie gehört zu den wenigen vom DFB lizenzierten Fußballehrerinnen. Sie war die erste, nach der eine Schuhfirma einen speziellen Frauenfußballschuh benannte.

Sie hat schon einen Kreuzbandriß überstanden und ein Playboy-Angebot abgelehnt, da war Tanja Szewczenko noch sooo klein. Sie fuhr früher jahrelang nach der Arbeit viermal die Woche 170 Kilometer von Duisburg nach Siegen und 170 km zurück, weil da die Spitze war. Im übrigen gehört sie zu den nicht eben vielen Fußballerinnen, die ein Kind bekommen haben – und zurückgekommen sind.

Da wird es keinen wundern, zu erfahren, daß Voss um ihr Verhältnis zum Fußball zu beschreiben auch vor dem Wort „Liebe“ nicht zurückschreckt. Genug hat sie nie bekommen. „Selbst heute“, sagt sie, „lerne ich in jedem Training noch dazu.“ Weil das so ist, mußte sie letzten Samstag unbedingt für ihren FCR Duisburg beim DFB-Pokalfinale spielen, obwohl ein Muskelfaserriß erst eine Woche zurücklag. Bei der ersten Bewegung riß die Faser erneut, worauf die Bundesligavize erstens gegen Meisterin 1. FFC Frankfurt verlor und sie zweitens nun zumindest für das WM-Auftaktspiel am Sonntag gegen Italien ausfällt. Jetzt sitzt sie in Los Angeles und muß damit „klarkommen“ und „positiv denken“.

Und nicht an 1997, als sie knieverletzt hauptsächlich durch psychische Betreuung der Kolleginnen zum EM-Titel hatte beitragen können. „Sehr wichtig“ sei sie damals gewesen, sagt Innenverteidigerin Doris Fitschen und meint es wahrscheinlich sogar.

Für Voss war eine Abreise unvorstellbar. Die Kapitänin ist überzeugte Vertreterin des Kollektivismus-Gedankens. Angefangen hat sie als Rechtsaußen, die mit individuellen Fähigkeiten am Ball Spiele entschied. Heute arbeitet sie auf der rechten Halbposition im Dreier-Mittelfeld des DFB, bringt ihre Laufstärke und ihre Befähigung zu schnellem, kurzen Kombinationspiel ein. Klar werden bei der WM einige Spielerinnen „groß herauskommen, weil sie individuell stark sind“, sagt sie. „Aber gewinnen kannst du nur als Team.“

Das ist kein Schmu. Die Tage, als Stürmerinnen wie die Italienerin Carolina Morace alles allein entscheiden konnten, sind vorbei. Es zählen nicht mehr die drei, vier Ausnahmespielerinnen wie einst Neid, Mohr, Fitschen, Voss. Die beiden letzten, vielleicht noch Bettina Wiegmann sind die Überlebenden aus der Steinzeit, die sich angepaßt haben an die Erfordernisse der Gegenwart, in der das Team alles ist. „Wenn du keinen Ausfall hast“, sagt Voss, „kannst du ein Spiel eigentlich gar nicht verlieren.“ Sie sagt du, aber sie meint natürlich das DFB-Team.

Die WM in den USA ist die bestmögliche Chance für die Sportart sich im Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit zu etablieren. „Ganz große Erwartungen“, sagt Voss, habe sie für dieses Turnier. Nun hat man in einer Branche, die Probleme hat, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, immer Erwartungen. Speziell in dieser zitiert man gern in dem Zusammenhang den Fifa-Präsidenten Joseph Blatter, der ja schon viel gesagt hat und eben auch, daß „die Zukunft des Fußballs weiblich“ sei.

Tatsächlich ist die USA der bestmögliche Austragungsort für die WM. Die US-Frauen (Weltmeisterin 1991, Olympiasigerin 1996) spielen den erfolgreichsten Fußball. Die Infrastruktur ist am weitesten entwickelt. Und die Organisatoren haben ohne geschlechterspezifisch bedingte Bescheidenheit einfach für ein großes Fußballereignis geworben – und wollen damit 450.000 Karten abgesetzt haben und die Eröffnung morgen und das Finale in der Rose Bowl von Pasadena (92.000 Plätze) ausverkaufen.

Das klingt nicht schlecht für Bundesligaspielerinnen, die in der Regel vor zweihundert Leuten kikken, weshalb Doris Fitschen auch mit einem wirklich verklärten Lächeln gesagt hat, sie freue sich „total“. Voss denkt schon weiter und will „das eine oder andere“ an Marketing- und Verkaufs-Knowhow abgucken, „um den deutschen Fußball noch populärer zu machen“. 1989, als das Team die EM in der Bundesrepublik gewann, bezeichnet sie als „ersten Schritt“, die EM 1997, „als jedes Spiel live gezeigt wurde“ als bisher letzten größeren. Und nun gilt: „Wenn wir hier eine Super-WM spielen, wird es wieder eine Steigerung geben, die wir einfach brauchen.“

Martina Voss arbeitet daran. Ernsthaft. Zum Beispiel gibt sie in diesen Tagen Interviews, obwohl ihr alles andere als nach Interviews ist. Spielen will sie. Trainerin Theune-Meyer rechnet spätestens zum letzten Vorrundenmatch mit ihr, und Kollegin Fitschen hat ihr sechs Spiele in Aussicht gestellt. Das sechste könnte das Finale sein. „Wenn das so ist“, sagt Voss, „werde ich sicher noch zum Einsatz kommen.“

Damit man sie richtig versteht: Für die Fußballerin Voss ist die WM „ein weiterer Höhepunkt“. Danach kommt schon, so das Team sich qualifiziert, Olympia 2000. Das wäre dann aber „der letzte große Punkt“ für eine, die immer dabei war. Oder auch nicht. Falls das nämlich noch nicht erwähnt worden sein sollte: Martina Voss ist gerade mal 31.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen