: Hallelujatage ohne Aufruhr
Auf dem 38. Evangelischen Kirchentag ist von der reninenten Stimmung der Vorjahre noch wenig zu spüren. Nur über die Missionierung von Juden gab es Streit ■ Aus Stuttgart Jan Feddersen
Zuletzt war der Kirchentag vor 30 Jahren in Stuttgart zu Gast. Das war im Sommer der Liebe, 1969, als die rebellischen Studenten ahnten, daß sie keine Minderheit bleiben würden – und deshalb auch den Evangelischen Kirchentag ohne Skrupel mit ihren Anliegen konfrontierten. Vietnamkrieg, Kampf gegen das Establishment, der Muff unter den Talaren: Die in Württemberg populären Pietisten, eine Glaubensrichtung, in der der Sozialdemokrat Erhard Eppler beheimatet ist und die die Bibel sehr streng auszulegen versteht, waren damals nicht besonders froh über diesen ersten offenkundig politischen Kirchentag.
Von dieser renitenten Stimmung ist vorläufig jedenfalls auf dem größten religiösen Laientreffen der Bundesrepublik in diesem Jahr noch wenig zu spüren. Oberflächlich ist alles wie immer: Eine deutsche Großstadt wird von betenden, singenden und schmusenden, meist jungen Menschen vier Tage lang heimgesucht. Wie stets wird in Foren diskutiert, dieses Jahr unter dem Kirchentagsmotto „Ihr seid das Salz der Erde“. Und traditionell sind auf dem „Markt der Möglichkeiten“ Hunderte von kirchlichen Gruppen vertreten – von der „Adventistischen Entwicklungs- und Katastrophenhilfe“ über die „Initiativgruppe gegen die geplante Bioethikkonvention“ bis hin zum „Informationszentrum Dritte Welt“.
Aber nicht nur die friedenspolitischen Eindeutigkeiten beispielsweise, die noch 1981 und 1983 auf den Kirchentagen in Hamburg und Hannover dominierten („Frieden schaffen ohne Waffen“), sind am Ende. Und nicht allein der Theologe Hermann Barth sprach im Zusammenhang mit dem Kosovokonflikt von einem gerechten Krieg: Er ist nicht der einzige hier in Stuttgart, der Abschied genommen zu haben scheint von der Idee, daß eine pazifistische Lebenshaltung friedensfördernd ist.
Am Sonnabend freilich soll versucht werden, an die alten Zeiten eines politischen Aufbruchs anzuknüpfen. Gerade während des Kölner Weltwirtschaftsgipfels soll aus Stuttgart ein „Signal“ gesetzt werden: „Es ist fünf vor zwölf für einen gerechten Start ins neue Jahrtausend.“ Kirchen-, Friedens- und Umweltgruppen setzen sich für eine biblisch inspirierte Entschuldung der Dritten Welt ein. Dorothee Sölle, eine der prominentesten Theologinnen der 68er-Ära, wird die Manifestation auf einem „Pilgerweg“ anführen, der einen „Aufbruch in eine gerechte Welt“ markieren soll.
Ein anderer Konflikt hat dazu geführt, daß Michel Friedman, Mitglied des Zentralrats der Juden und liberaler Christdemokrat, seine Teilnahme am Kirchentag abgesagt hat. Er sollte auf einer Veranstaltung der „AG Juden und Christen“ zum Thema Judenmission sprechen. Die Kirchentagsleitung hatte freilich im Vorfeld des Kirchentags der pietistischen Missionsgruppe „Evangeliumsdienst für Israel“ einen Stand eingeräumt – woraufhin die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg ihre Teilnahme am Kirchentag absagte. Mission bedeutet ein christliches Verständnis, nach dem Juden von ihrer schuldhaften Verstrickung in die Tötung Jesu Christi überzeugt und sie für den christlichen Glauben gewonnen werden sollen– eine Haltung, die dazu führte, daß insbesondere protestantische Christen schon in der Zeit vor dem Dritten Reich wenig bis gar nichts gegen den wütenden Antisemitismus getan haben: Er leuchtete ihnen vielfach ein. Mehr noch: Er entsprach ihrem Alltagsbewußtsein.
Das Forum der AG Juden und Christen, dessen Arbeit Anfang der sechziger Jahre aus einem Kirchentag hervorging, sollte dieses Spannungsverhältnis zum Thema haben. Von einer Mission sollten Christen sich fernhalten – das stand schon vor der Veranstaltung „Nein zur Judenmission“ fest. Daraufhin sagte Manfred Kock, Ratsvorsitzender der EKD, seine Teilnahme an der Diskussion ab. Das Thema könne nicht „in einer Art Schwarzweißmalerei“ behandelt werden. Klaus Wengst, Theologieprofessor aus Bochum, sagte gestern während des Forums zum Thema: „Ich sage nein zur Judenmission aus tiefer Scham vor dem, was Christen in der Geschichte, in die ich eingebunden bin, Juden angetan haben, wovon der Name Jesu Christi und das Zeugnis über ihn nicht unberührt geblieben sind.“ Er erntete für seinen Vortrag prasselnden Beifall von vielen tausend Zuhörern.
Ein anderes kleines Skandälchen war bis gestern kein Thema. Die Gruppe „Homosexuelle und Kirche“ (HuK), die zum Kirchentag ein eigenes Gruppenzentrum in einer Schule zugeteilt bekommen hatte, wurde aus dieser Lehranstalt wieder ausgeladen. Mit dem Hinweis, daraus kein Aufhebens zu machen, um den Kirchentag nicht zu provozieren, wies die Kirchentagsleitung der HuK ein Gemeindezentrum zu. Im Programm dieser Hallelujatage taucht dieses Zentrum – in dem auch Seelsorge angeboten wird – nicht auf. Die HuK, seit Jahren profiliert darin, nicht aufzumukken, verzichtete auf jeden Protest.
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