: Irgendwo ist immer Krieg
Die „Frauen in Schwarz“. Bekannt sind sie als Widerstandsgruppe aus Belgrad, wo sie 1991 gegen den Krieg in Kroatien demonstrierten. Das gibt es auch in Deutschland – in der schleswig-holsteinischen Provinz. Dort mahnwachen seit sechs Jahren kirchenbewegte Frauen gegen Krieg, Militarismus und Gewalt in aller Welt. Jetzt sehen sie sich in ihrer Beharrlichkeit bestätigt. Eine Reportage ■ Von Katharina Born
Mutig“, sagt der Sanfte mit den blauen Augen. „Es muß auch solche geben.“ „Ein Witz“, meint der Dicke mit den strähnigen Haaren. „Was soll das denn bringen.“ Die Pensionäre sitzen auf den Betonpollern am Marktplatz des schleswig-holsteinischen Rendsburg und lassen sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Sie fühlen sich nur wenig gestört von dem lebenden Mahnmal vor den Fahrradständern. Weithin sichtbar bilden zehn Frauen in dunklen Mänteln einen festen Kreis. Den Rücken einander zugewandt, halten sie sich weiße Pappschilder vor den Bauch. „Gegen die Selbstverständlichkeit der Gewalt an Frauen im Krieg“, steht da, „Gegen Minen, Vergewaltigung, Nationalismus, Militarismus“.
„Wo gehobelt wird, fallen Späne“, sagt der Dicke, meint den Krieg gegen Jugoslawien und fährt dann in der ihm eigenen Logik fort, „Der Albaner, der Palästinenser – das sind doch die Killertruppen im Rotlichtmilieu. Denken Sie, die kümmern sich drum, ob hier ein paar Frauen stehen?“
Den Blick fest nach außen gerichtet, schweigen die Frauen, und je länger sie stehen, desto mehr wachsen sie zusammen. Eine weist ein neugieriges Paar auf die Infozettel am Boden hin. Zwei junge Männer schlendern dicht am Kreis vorbei, die Stehenden sehr offensichtlich ignorierend. Vor allem ältere Leute schauen, stecken ein Geldstück in die Sammelbüchse. Eine junge Mutter zerrt am Arm ihres Jungen, „warte, ich muß da was gucken“, strebt zum Blumenstand.
Die Frauen – ältere mit schlohweißem Haar und langen Mänteln, jüngere mit nicht ganz schwarzen Jacken. Unmißverständlich bedeutet ihr Kreis eine besondere Art präsenter, stummer Macht, die in ihrer Weiblichkeit nicht nach jedermanns Geschmack ist.
Das erste Mal haben sich die „Frauen in Schwarz“ im April 1993 in Rendsburg getroffen. Seitdem fiel es „wegen Regens“ nur zweimal aus, nie waren sie weniger als vier. Zunächst wollten sie sich solidarisch mit den Belgrader „Frauen in Schwarz“ zeigen, die mit ihren Mahnwachen seit Oktober 1991 jede Woche gegen Krieg, Nationalismus und Vergewaltigung protestieren. Ähnlich bildeten sich 1993 in der ganzen Bundesrepublik etwa zwanzig Gruppen von Nürnberg bis Kiel.
„Seit sechs Jahren? Wenn das meine Frau wäre, hätt' se besser die Kartoffeln schon auf'm Tisch“, nuschelt der dicke Pensionär. „Sonst gäb' es Langhover.“ Ärger meint er.
„Da unten auf dem Balkan haben die Frauen ja auch nichts zu sagen“, gibt der Sanfte zugunsten des Friedenstrupps zu bedenken. „Is ja nich schön, was mit denen da passiert is.“
„Wir haben die Frauen eh ins Güldene geschickt“, sagt der Dicke, als wäre klar, daß seit dem Tod seiner Frau auch er mehr Ruhe hat.
Seit sechs Jahren holt Sigrid Daubitz, 67 Jahre, an jedem letzten Mittwoch im Monat die schwarzen Kleider aus dem Schrank. Morgens um acht verläßt sie mit langen Schritten ihre geräumige Einliegerwohnung in Schenefeld. Mit dem roten Peugeot holt sie im knapp fünfzehn Kilometer entfernten Hohenwestedt die Freundin Friedel Blenk ab. Dann brausen sie weiter, eine Dreiviertelstunde über die B 77, durch den Naturpark Aukrug, vorbei am Wilden Moor, mit Spitze 110 nach Rendsburg hinter den sanften, grünen Hügeln am Nord-Ostsee-Kanal. „Das Schlimme ist“, sagt Sigrid Daubitz, „wir können jetzt wieder die Plakate benutzen, mit denen wir 1993 angefangen haben. Minen, Massenvergewaltigungen, auseinandergerissene Flüchtlingsfamilien – damals war genau dasselbe wie heute. Vielleicht hört das ja eines Tages auch mal auf.“ Sie überholt schwungvoll einen LKW. „Das hört nie auf“, sagt von hinten die handfeste Friedel Blenk, 65 Jahre alt. „Die werden immer die Menschen benutzen. Da machen ungeniert alle mit. Auch die ganz oben. Auch hier.“
Die Mahnwachen der „Frauen in Schwarz“ ist nur eines der vielen Engagements von Sigrid Daubitz. Bildungswerk, Chor, Wassergymnastik, Lebensmitte-Gruppe, das Ehrenamt als Kassenwart und die Gruppe, in der Frauen ihre Lebensgeschichte aufschreiben – jeden Tag ein bis zwei Veranstaltungen, dazwischen noch die Treffen mit den Enkelkindern. Demnächst fährt sie mit Friedel auf Studienreise nach Israel. „Sigrid ist ja so aktiv“, sagt Friedel Blenk mehrmals und als müsse das jetzt mal gesagt sein. Die Freundin zuckt verlegen mit den Schultern. Sie sei eine „ganz normale Omi“, sagt sie – vielleicht hat sie recht.
Vor der backsteinernen St.-Marien-Kirche in der Rendsburger Altstadt warten schon drei schwarzgekleidete Frauen. Anna-Elisabeth Heister stellt drinnen ein Dutzend Stühle vor dem Altar auf. Hier machen sich die Frauen Mut.
Friedel Blenk spricht von den Flüchtlingstrecks im Fernsehen in den letzten Wochen, von den Schmerzen in den Gesichtern der Frauen und Kinder. „Und dann“, sagt die Rothaarige und beugt sich vor, „dann sieht man im nächsten Bild sechs Männer an einem Tisch sitzen und klug daherreden, die diplomatischen Anstrengungen liefen nun auf Hochtouren.“ Die anderen im Halbkreis nicken zustimmend. „Wenn die Männer doch aber so klug tun, warum konnten sie sich das nicht vorher überlegen.“
Sigrid Daubitz steht bei der Fürbitte zweimal auf, zündet eine Kerze an und betet langsam, mit dünner Stimme. Die meisten Frauen kamen über die Kirche zu den Mahnwachen. Nach einem gelungenen „Dona Nobis“ wandern die Frauen aufgeräumt über die Einkaufsstraße zum Schiffbrückenplatz. Vor dem Lederwarengeschäft gehen sie in Stellung, rücken zusammen, schweigen.
Nach einer halben Stunde fassen sich die Frauen noch einmal an den Händen, drücken fest zu, dann löst sich der Kreis. Die Anspannung schwindet, die Macht verpufft, jetzt stehen auf dem Marktplatz ein paar schwatzende Frauen, keine Mahnwachen mehr, von denen sich einige schon bald verabschieden. So etwas wie Erleichterung?
„Man geht zum Alltag über“, sagt Sigrid Daubitz. Sie will noch schnell im „Eine-Welt-Laden“ den guten Kaffee kaufen. Ein Mann mit glänzendroten Wangen verwickelt Anna-Elisabeth Heister in ein Gespräch über die Notwendigkeit des Krieges. Sie winkt irgendwann ab und sammelt die Plakate ein. „Wenn ein Mann sagt, der Krieg muß einfach sein, dann kann eine Frau schon mal sagen, ich denke, das ist ein Fehler, was da passiert ist“, sagt sie später. Als Zehn-, Zwölfjährige, sagt Sigrid Daubitz auf der Rückfahrt, glaubte sie Hitler, wenn er „im Volksempfänger von der ,Vorrrrsehung' schnarrte“. Mit Pathos hebt sie zum Lied der Jungmädels an: „Nichts kann uns rauben Liebe und Glauben zu unserem Land.“ Sie weiß auch noch die zweite Strophe. Friedel stimmt ein, aber aus der Patriotenschnulze wird bald ein Trauermarsch. „Ich habe bitterlich geweint, ich war wütend, ich war so enttäuscht, als es vorbei war. Und was da nachher alles rauskam, die KZs, die Judenvernichtung.“ Friedel Blenk sagt: „Auf so was fällst du nie wieder rein, habe ich mir gesagt.“
Später beim Mineralwasser in den gepolsterten Gartenstühlen auf Friedel Blenks Balkonterrasse riecht es nach Wald und Sommer. Die Vögel spielen verrückt in den jungen Bäumen hinter dem Haus. Den schicken Bungalow hat Friedel noch zusammen mit ihrem verstorbenen Mann geplant. Kein Gedanke an Krieg. Oder?
Nicht, daß der Krieg das Leben auf immer bestimmt“, sagt Friedel Blenk. „Aber man hat sein Leben lang damit zu tun.“ Als ehemalige Berlinerin hat auch Sigrid Daubitz erlebt, was Krieg bedeutet, gerade auf lange Sicht und gerade für die Frauen. Fliegeralarm, Hunger, Flucht und vor allem „haufenweise verpaßte Chancen“. Den Schulabschluß konnte sie später neben der Arbeit nachholen. Aber bis sie sich nicht mehr als „Dummchen“ fühlte, das dauerte viel länger. Auch mit dem „Helfersyndrom“ und einem „starken Harmoniebedürfnis“ habe sie lange kämpfen müssen. Die Worte gehen Sigrid Daubitz über die Lippen wie Kaffee und Kuchen. Geholfen habe da nur Selbstbewußtsein.
„Als ich endlich Selbstbewußtsein hatte“, sagt sie immer wieder. Da konnte, da mußte die Hausfrau, Mutter von vier Kindern, achtfache Großmutter sich engagieren, sich einsetzen für ihren Glauben. In ihrem „Schneckenhaus“ in Schenefeld zu sitzen, das sei nichts für sie. „Man muß was tun. Und die Leute sollen es auch sehen“, sagt Friedel Blenk.
Sigrid Daubitz' Mann, wegen dem sie in den sechziger Jahren von Berlin-Frohnau nach Schleswig-Holstein kam, ist lange verstorben. Wenn heute ihr Freund, mit dem es „besser geht“, seit sie „nicht mehr zusammenwohnen“, sagt, sie solle sich lieber um arme und kranke Leute kümmern, statt auf dem Marktplatz zu schweigen, dann macht sie das wütend. „Immer wissen die viel besser, was man tun soll. Aber davon habe ich genug. Solange ich nichts Böses mache, mach' ich das, verdammt noch mal.“
„Es gibt manchmal überraschende Lösungen für die Dinge“, sagt Sigrid Daubitz. „Wenn ich da stehe, dann will ich zeigen: Ihr müßt nicht immer das Schlechte tun. Laßt euch was einfallen. Damit mache ich auch mir selbst klar, daß es eine Hoffnung gibt. Es geht ja doch so viel schief im Leben.“ Und plötzlich ist Sigrid Daubitz die „normale Omi“, die sie so gerne sein möchte.
Katharina Born, 26, freie Journalistin aus Berlin, schreibt vor allem Reportagen und Features.
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