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Politik und Kerne spalten

Neuer Streit um Atomausstieg: Noch mindestens ein Vierteljahrhundert lang wollen die HEW ihre Reaktoren in Betrieb halten  ■ Von Sven-Michael Veit

Sie dürften doppelten Grund zur Freude haben, die Aktionäre der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW). Wenn sie sich am Donnerstag zur alljährlichen Hauptversammlung im CCH treffen, können sie aus dem Munde von Vorstandschef Manfred Timm zwei frohe Botschaften vernehmen. Die Dividende für das Jahr 1998 soll auf die Rekordhöhe von 27 Prozent klettern, und den Ausstieg aus der Atomkraft dürften weder er selbst noch ein Großteil der Anwesenden miterleben müssen. Noch locker ein Vierteljahrhundert lang, so der Standpunkt des 60jährigen Timm, wollen die HEW unverdrossen Kerne spalten.

Eine Laufzeit von 35 Kalenderjahren für die Atommeiler der HEW sei „wirtschaftlich nicht vertretbar“, findet Timm. Diese Frist haben Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) und die Vorstände der vier größten deutschen Atomkonzerne ins Auge gefaßt; heute soll sie in Bonn mit SPD-Kanzler Gerhard Schröder und dem grünen Umweltminister Jürgen Trittin festgeklopft werden.

Die HEW, die an den Gesprächen nicht beteiligt waren, würden einer solchen „Gesamtbetriebszeit nicht zustimmen“, stellte HEW-Sprecher Johannes Altmeppen klar. Diese würde bedeuten, daß der älteste HEW-Meiler in Stade im Jahr 2007 als erster und das AKW Brokdorf 2021 als letztes abgeschaltet werden. Man müsse eher in „Volllastjahren“ rechnen, findet Altmeppen. Die monate- und zum Teil jahrelangen Stillstände einzelner Meiler wegen Reparatur- und War-tungsarbeiten – das betrifft in erster Linie die AKWs der mittleren Generation, Brunsbüttel und Krümmel – würden so auf die Kalenderjahre draufgeschlagen werden.

Auf eine genaue Zahl wollte Altmeppen sich gegenüber der taz nicht festlegen. HEW-Chef Manfred Timm hatte Ende Januar 40 Vollastjahre als denkbare Größe genannt. Für das AKW Brokdorf hieße das, eine Abschaltung käme frühestens 2026 in Frage.

Das wäre „absurd“, konterte gestern Hamburgs grüner Umweltsenator Alexander Porschke: „Je länger ein Atomkraftwerk stillsteht, je störanfälliger und damit gefährlicher es also ist, desto länger soll es betrieben werden“, sei die Logik der AKW-Betreiber, der er nicht zu folgen bereit sei. Porschke forderte „deutlich kürzere“ Laufzeiten als 35 Kalenderjahre und eine Stillegung der ersten Atommeiler noch in dieser Legislaturperiode.

Unterstützung erhält der Umweltsenator von GAL-Energiesprecher Axel Bühler und dessen Vorgänger Lutz Jobs, der jetzt Atomexperte der Regenbogen-Gruppe ist. Beide verwiesen auf den Hamburger Koalitionsvertrag, der eine „Stillegung von Kraftwerkskapazitäten in 2002/2003“ vorsieht. Vom Regierungspartner SPD war demgegenüber die Betonung auf „Kapazitäten“ zu hören. Das müsse nicht zwangsläufig bedeuten, „ein ganzes AKW abzuschalten“.

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