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Berlin Buch BoomTage der Freuden

■ Ein heimeliges Buch über die bewegte Geschichte der Berliner S-Bahnhöfe

Wer ahnt, daß der S-Bahnhof Babelsberg ursprünglich als Bahnhof Nowawes eröffnet wurde? Wer weiß von einem gewissen Bahnhof Siemensstadt- Fürstenbrunn, der es zuletzt auf sage und schreibe vier Fahrgäste pro Stunde brachte?

Wer sich für solche Berlin einst bewegenden Bahngeschichten interessiert, ist mit dem Buch „Berlins S-Bahnhöfe“ bestens bedient. Dort finden sich allerhand vom Bauschutt verschüttete Geschichten. Etwa die des S-Bahnhofs Kolonnenstraße, der nach der Schließung des Potsdamer Bahnhofs im Jahr 1944 funktionslos blieb. Über dessen Wiederbelebung wurde seit 1985 intensiv nachgedacht, doch mit folgendem Satz glaubte man sie dann vorläufig endgültig nicht vornehmen zu können. „Ich glaube sicher sagen zu können, daß ich davon ausgehe, daß dies mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht der Fall sein wird.“

Oder die Geschichte des S-Bahnhofs Halensee, den die S-Bahn bereits 1928 elektrifiziert erreichte: Dort wurde, will die Legende, der Name S-Bahn – vormals SS-Bahn (für Stadt- Schnell-Bahn) – geprägt. Und dort wurde das für die Presse gut einsehbare Stellwerk von Bahnpersonal besetzt, in jenem Streik im September 1980, der für viele S-Bahn-Strecken das endgültige Aus bedeutete, da sie nach dem Streikende nicht mehr befahren wurden.

Bis 1990 teilte der Bahnhof Halensee dieses Schicksal, die Bahnanlagen verrotteten, und der Bahnhof wurde abgerissen. Zurück blieb eine schnöde, eher provisorische Haltestelle, bei der nichts mehr an seine Geschichte erinnert. Wie bei fast allen Bahnhöfen Berlins.

Politik aber ist das Manko dieses ansonsten gut recherchierten Buches. Denn bei allen im heimeligen Hobbyhistorikerdeutsch geschriebenen Geschichtchen, bei allen Details aus der Regionalgeschichte fehlt dem Buch der Blick aufs Ganze. Es listet alle jemals gewesenen Bahnhöfe alphabetisch Station für Station auf, doch über die baulichen Zusammenhänge, die bahntechnischen Verbindungen und die stadthistorische Bedeutung der Bahnhöfe liest man nichts. Auch haben sich die Autoren eine Einführung in die S-Bahn-Geschichte gespart: Über die Elektrifizierung, Albert Speers Größenwahn, den Streik in den Achtzigern oder die Betriebsübernahme des Westnetztes durch die BVG (84–90) erfährt man wenig.

Das ist besonders blöd, wenn man gerade die heutige verkehrspolitische Bedeutung der S-Bahn betrachtet und sieht, wie sehr sich die S-Bahn von einem Unternehmen der öffentlichen Hand in einen privatisierten Dienstleister verwandelt hat, der wesentlicher Teil des neuen Berlins ist. Da hat es sich nämlich mit der kleinteiligen Gemütlichkeit früherer Tage. Aber wie man das oft bei Bahnfans hat: Von Politik will dieses Buch nichts wissen.

Jörg Sundermeier ‚/B‘ Jürgen Meyer-Kronthaler, Wolfgang Kramer: „Berlins S-Bahnhöfe“. be. bra Verlag, 376 Seiten, 68 DM

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