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Coca-Cola sagt „Entschuldigung!“

Konzernchef Ivester bittet die belgischen Verbraucher um Verzeihung. Mit den Vergiftungsfällen in Belgien und Frankreich rutscht der US-Konzern nicht zum ersten Mal in skandalträchtige Untiefen  ■   Von Manfred Kriener

Berlin (taz) – Täglich riefen 8.000 zornige Kunden an. 40.000 Protestbriefe stapelten sich in den Fluren. Coca-Cola-Fahrer wurden bei der Auslieferung verprügelt, die Presse höhnte, der Vertriebsmanager konnte wochenlang nicht schlafen, und selbst die treuesten Coke-Kunden befanden, das Softgetränk schmecke ganz einfach „nach Scheiße“. Für Cola-Trinker Fidel Castro markierte der neue Geschmack der Coke den Niedergang der Vereinigten Staaten. Es war die bis heute größte Krise in der Firmengeschichte von Coca- Cola, der Marketing-GAU des Jahrhunderts.

Im April 1985 hatte die Firma als Reaktion auf den Erfolg von Konkurrent Pepsi die Zusammensetzung ihres eigenen Gebräus verändert. Das Originalrezept wurde leicht abgewandelt, der Drink süßer, runder, moderner getunt. Amerika schäumte. Zwei Monate brauchte der Konzern bis zur Kapitulation. Am 10. Juli 1985 wurden die aktuellen Fernsehprogramme in den USA unterbrochen, um den Zuschauern ein „bedeutsames Ereignis in der amerikanischen Geschichte“ mitzuteilen: Coca-Cola gibt den Protesten nach und kehrt zur klassischen Rezeptur zurück. Am selben Tag verstopften 18.000 Dankesanrufe die Leitungen zur Firmenzentrale. „Danke, danke, danke!“ bejubelte eine 68jährige Frau die Rückkehr des „real thing“, des einzig Wahren, und bekannte: „Nur Sex ist besser!“ Es ging, wie Coke-Biograph Mark Pendergrast schrieb, nicht nur um Geschmack, sondern „um Gott und Vaterland“. Längst war Coca-Cola mehr als ein Erfrischungsgetränk. Es war ein Mythos. Es war das mit dem Aufstieg der USA eng verknüpfte nationale Getränk, Symbol des American way of life.

14 Jahre nach dem Debakel steckt der Limohersteller erneut in der Krise. Der Konzern hat ein verunreinigtes, man könnte auch sagen: vergiftetes Produkt ausgeliefert. 100 kotzende Kunden wurden mit Magenbeschwerden, Herzrasen, Unwohlsein und einem veränderten Blutbild in belgische Krankenhäuser eingeliefert. Fünf europäische Länder haben Coca-Cola-Produkte inzwischen vom Markt genommen. Es ist die größte Rückrufaktion in der Geschichte der verpackten Verbrauchsgüter.

Und wieder läuft das Krisenmanagement des Herstellers aus dem Ruder. Die Financial Times rieb den Brausemachern noch einmal die drei goldenen Regeln für den Ernstfall unter die Nase. 1. schnell reagieren, 2. offen und ehrlich bleiben, 3. Zerknirschung zeigen! Erst gestern begann der Konzern, sich nach den Ratschlägen zu richten. „Ich bitte die belgischen Verbraucher vielmals um Entschuldigung.“ Mit diesen Worten wandte sich in ganzseitigen Zeitungsanzeigen Coca-Cola-Chef M. Douglas Ivester an die Öffentlichkeit.

Tatsächlich geriet die Krisenbewältigung zur PR-Katastrophe. Die Produkte seien sicher, Gesundheitsschäden seien nicht zu befürchten, flötete zuckersüß die Brüsseler Sprecherin Maureen O'Sullivan zu einem Zeitpunkt, als Witzbolde das Produkt schon in „Coca-Colik“ umgetauft, die Ärzte toxische Symptome und eine rätselhafte Veränderung der roten Blutkörperchen bei Limotrinkern diagnostiziert hatten.

Als der Softdrinkhersteller endlich mit einer Erklärung zu den Ursachen der Verunreinigung herausrückte, klang sie denkbar mysteriös. Mit Pestiziden verunreinigte Holzpaletten im Werk Dünkirchen hätten die darauf abgestellten Dosen kontaminiert und die Vergiftungsfälle in Frankreich verursacht. Die in Belgien aufgetretenen Vergiftungen sollten „durch schlechtes Kohlendioxid“ ausgelöst worden sein. Was genau „schlecht“ daran war, vermochte niemand zu sagen. Am Wochenende mußte sich der Konzern korrigieren und zugeben, daß man nicht wisse, auf welchem Weg die inzwischen festgestellten giftigen Phenole und Schwefelverbindungen in die Flaschen und Büchsen der belgischen Abfüllwerke geraten sein könnten. Brüssels Gesundheitsminister Luc van der Bossche teilte kurz und heftig mit, daß die dürftigen Stellungnahmen „nicht ausreichen, die Krankheitserscheinungen zu erklären“.

Unterdessen arbeiten 2.000 Experten an der Aufklärung. Kein leichter Job, zumal der Konzern bis heute die Zusammensetzung des Untersuchungsgegenstands streng geheimhält. Selbst in der eigenen Firma kennen nur wenige Eingeweihte das Originalrezept. Es kursieren zwar etliche Versionen der angeblichen Geheimformel, aber nicht einmal ein Gerichtsbeschluß konnte bisher die Herausgabe der offiziellen Coca-Cola-Mixtur erzwingen. Klar ist nur, daß das Produkt zu 99 Prozent aus Zuckerwasser besteht. Pendergrast zählt folgende weitere Zutaten auf: Koffein aus der Kolanuß, Vanilleextrakt, Zitronensäure, Limonellensaft, Coco, Karamel, Orangenöl, Limonenöl, Muskatnußöl, Zimtöl, Korianderöl und Neroliöl.

Immer wieder hat Coca-Cola bestritten, was jeder weiß: In der Ursprungsversion enthielt die Limonade auch Kokain. Der Apotheker und Morphinist John Pemberton hatte den Medizinaltrunk, wie er ihn nannte, im Jahre 1886 erfunden. Er pries seine wohltuende Wirkung gegen nervöse Leiden, Kopfschmerzen, Kater, Impotenz, Depression und lobte ihn auch als Entzugsmittel für Morphinisten.

Pemberton selbst starb vor dem Siegeszug seiner Kreation. Heute ist „Coca-Cola“ nach „okay“ der bekannteste Begriff weltweit, mit deutlichem Vorsprung vor Jesus Christus und den Beatles. In ehemals kommunistischen Ländern ist der Stoff besonders „hype“. Coke ist damit das weltweit meistverbreitete Produkt.

Bei seiner phänomenalen Expansion setzte der Konzern alle Mittel ein, ließ Dollars regnen, buhlte mit den Mächtigen und erklärte Konkurrenten den offenen Krieg. Um so größer ist die Häme, wenn der Konzern in die Krise rutscht. Coca-Cola steht eben nicht nur für Aufstieg und Erfolg. Es markiert auch den Beginn der Globalisierung, die Vorherrschaft der US-Weltmacht – es ist die Essenz des Kapitalismus.

Schon einmal tobte in Europa ein großer Kampf um den Softdrink. In den 50er Jahren wollte die französische Regierung den Verkauf verbieten. Intellektuelle, Winzer und die politische Linke hatten sich zusammengeschlossen, um „den kulturellen Verfall“ durch die Coke-Invasion zu stoppen. Auch Italiener, Österreicher und Deutsche wappneten sich gegen die aggressive US-Marke. Wilde Gerüchte wurden gestreut: Cola bleiche die Haare, mache impotent. Sogar verweste Leichen wurden bemüht, die angeblich in einer Abfüllanlage entdeckt worden waren. Vergeblich: Die Limonade war nicht zu stoppen.

Damals befürchtete die Konzernzentrale in Alabama ein wirtschaftliches Desaster, falls sie „die Schlacht um Europa“ verliere. Heute scheint ein finanzieller Einbruch trotz des Skandals unwahrscheinlich. Die ersten Banken haben die an der Wall Street leicht abgeschmierte Coca-Cola-Aktie schon wieder zum Kauf empfohlen. Begründung: Coke wird in 185 Ländern der Welt verkauft. Da seien die gegenwärtigen Verluste in Belgien, Frankreich, Holland und Luxemburg nur Peanuts. Bis 2001 erwartet der Limonadengigant ein Umsatzplus von 15 Prozent. Für eine Imagekampagne zur Politur des ramponierten Ansehens stehen der Firma ein Milliardenetat und die ausgefuchstesten Werbeprofis zur Verfügung. Sie werden die braune Brause schon wieder reinwaschen.

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