■ Es ist doch nicht zu fassen: Das Kabinett fällt Entscheidungen von „historischer Tragweite“, wie der Kanzler erläutert. Der Haushalt 2000 steht, im Sekundentakt werden Reformen beschlossen. Und die Stimmung in den Regierungsparteien ist mies, mieser, am miesesten.: Angst vor dem Kladderadatsch
Wer wissen will, wie sich die Regierungskoalition aus SPD und Grünen in diesen Tagen fühlt, braucht sich nur Wolfgang Schäuble anzuschauen. Der Parteichef der CDU kommt allein zur Pressekonferenz hereingerollt, bleibt auf der Türschwelle stehen und ruft den Journalisten fröhlich zu: „Ich bin noch gar nicht da. Ohne meinen Pressesprecher bin ich nichts.“ So locker hat man Schäuble lange nicht gesehen. Und beiden Seiten, Regierung und Opposition, kann es schließlich nicht gleichzeitig gutgehen.
Später, nachdem Schäuble der Regierung „gigantischen Wahlbetrug“ vorgeworfen hat, erzählt er noch eine Geschichte. Vor ein paar Monaten habe ihm ein Spaziergänger gesagt: „Sie, Herr Schäuble, haben doch behauptet, es würde heute niemand mehr zugeben, daß er die SPD gewählt hat. Ich habe die SPD gewählt.“ Am letzten Wochenende habe ihn der Mann wieder angesprochen. „Sie haben recht gehabt, Herr Schäuble.“ Nur Politikergewäsch?
Nun, bei SPD und Grünen können sie allein für genug schmutzige Wäsche sorgen. Doch zuerst die guten Nachrichten. Die SPD-Fraktion hat sich am Dienstag abend mit einem rauschenden Fest aus Bonn verabschiedet. Die „Bläck Föös“ waren da sowie die „Höhner“. Und Fraktionschef Peter Struck kündigte einen besonderen Gast an: Einen, „der bis an die Grenzen der physischen und psychischen Belastbarkeit für unser Land gearbeitet hat“. Bundeskanzler Gerhard Schröder. Vorher hatte Schröder einen seiner markigen Auftritte im Fernsehn gehabt. Strikt hatte er neue Steuerlasten auf hohe Vermögen abgelehnt. Wie unangenehm, daß kurz zuvor die Fraktion das Gegenteil beschlossen hatte. Die Genossen sind nicht amüsiert. Einen Konflikt hat die Regierung damit schon mal am Hals. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Wilhelm Schmidt, sagte gestern: „Wir werden uns die Vermögensbesteuerung nicht aus der Hand nehmen lassen. Die Fraktion ist fest entschlossen.“
Überhaupt wird es wohl nichts werden mit der erhofften Atempause über die Sommerpause. Dazu gärt es zu sehr in den eigenen Reihen. Von den Jusos heißt es etwa: „Am liebsten würden einige von uns mit Gewehren das Kanzleramt stürmen.“ Und: „Der Kanzler ist dabei, die SPD zu einer 25-Prozent-Partei zu machen.“ Und: „Die Partei steht vor einer Zerreißprobe.“
Ja, ja, die Jusos, möchte mancher meinen, aber solche Töne sind zu ungewöhnlich, um sie abzutun. Da sind zu viele Streitpunkte: Atomausstieg, Rente, Ökosteuer, Einsparung bei den Arbeitslosen, Besteuerung der Lebensversicherungen – und immer soll entweder die angestammte Klientel der SPD oder der Grünen bluten. Dazu die Verärgerung über die jüngsten Pannen, etwa bei der Rentenreform und ein Kanzler, der wenig Rücksicht auf Partei, Fraktion, Koalitionspartner nimmt, dafür scheinbar um so mehr auf die Arbeitgeber, siehe Altautoverordnung. „Den Vertrauensverlust“, sagt ein SPD-Abgeordneter und meint damit handwerkliche Pannen und die Einschnitte bei Rentnern und Arbeitslosen, „den bekommt man so schnell nicht mehr weg.“
Moderat und einem Politiker der Führungsspitze angemessen, spricht Wilhelm Schmidt von einer „gespannten aber nicht verdorbenen Stimmung“. In der SPD-Fraktion herrsche die Auffassung vor, daß ein Riesenpensum abgewickelt worden sei. Ohne zu widersprechen, kann man das auch negativ sehen. Der Abgeordnete Christoph Matschie sagt: alles sei so schnell gegangen, es habe keine Zeit zum Überlegen gegeben. Auch deshalb befindet er, sei die Fraktion „nicht gut drauf“. Und ein SPD-Vorstandsmitglied klagt: „Wir haben gar nichts mehr zu sagen. Am besten sagt man gar nichts mehr, wenn man in den letzten 24 Stunden nicht mit dem großen Staatsmann gesprochen hat.“
Klar, Riester hat sein um die Zwangsrente abgespecktes Rentenkonzept mit großer Mehrheit bestätigt bekommen. Nur 20 Abgeordnete waren dagegen. Aber was, wenn es erst mal allen Abgeordneten so geht, wie denjenigen, die schon jetzt Anrufe empörter Bürger aushalten müssen. „Was macht ihr für ein Mist“, heißt es da und auch Schäubles Wort vom „Wahlbetrug“ greift die eigene Klientel auf. Auch das Sparpaket wird noch für Empörung sorgen. „Das haben noch gar nicht alle realisiert“, sagt ein Sozialdemokrat, „daß jede dritte Mark des Sparpakets bei den Arbeitslosen“ eingespart werde. Die haben zwar keine richtige Lobby, aber da die Rentenbezüge von Arbeitslosen um 5,9 Milliarden reduziert werden, dürfte die Rentenlobby noch viel Ärger bereiten.
Heftig gärt es auch bei den Grünen. „Noch nie so frustriert und verärgert“ gewesen ist etwa der Umweltpolitiker der Grünen, Winfried Hermann. Ein Grund, die Ökosteuer. Schon die erste Stufe sei nicht befriedigend gewesen, aber da habe man noch gesagt, dafür wird die zweite besser. Jetzt werde es aber noch miserabler. Einige Grüne fühlen sich mal wieder vom Kanzler über den Löffel balbiert. Wütend blaffte er in der Koalitionsrunde, die ganze Richtung dieser „von mir unglaublich geschätzten Ökosteuer“ passe ihm nicht. Die Ökosteuer werde so beschlossen, wie er das wünsche. „Sonst ist die Koalition eben zu Ende.“ Also keine nennenswerte Erhöhung der Preise von Strom, Gas und Heizöl, wie es die Grünen wollten.
Ein weiterer Grund, der Atomausstieg: Das ,,Konsenspapier“ von Wirtschaftsminister Müller, das eine Höchstbetriebszeit von 35 Jahren vorsieht, hält Hermann für das „Allerschlechteste“, was zu erwarten gewesen wäre. Zwar findet auch der Kanzler das Papier nicht akzeptabel, aber, so vermutet Hermann, mehr als ein Ergebnis von 30 Jahren holt er bei den Energieversorgern nach dieser Vorlage nicht heraus. Schon drohen die Grünen mit einem Bruch der Koalition. „Diase Stimmung ist deshalb so verhagelt“, sagt ein Grüner, „weil nicht Rot-Grün regiert, sondern das rot-grüne Chaos.“
Markus Franz, Bonn
Mancher Juso würde gern „mit dem Gewehr das Kanzleramt stürmen“, und ein SPD-Vorständler klagt: „Wir haben gar nichts mehr zu sagen.“
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