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Beklemmende Augenblicke in Prizren

Oft haben Joschka Fischer und Rudolf Scharping während des Krieges vom Morden im Kosovo geredet. Nun haben sie die Überreste der Massaker zum ersten Mal mit eigenen Augen gesehen  ■   Aus Prizren Erich Rathfelder

Mit ohrenbetäubendem Hubschrauberlärm trafen am Mittwoch nachmittag Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und VerteidigungsministerRudolf Scharping (SPD) in Velika Krusa ein. Die erwartungsfrohe Menschenmenge klatschte, als die beiden deutschen Politiker ausstiegen.

Die meisten, die hier den hohen Besuch aus Deutschland in Empfang nahmen, sind erst vor wenigen Tagen aus Flüchtlingslagern oder aus den Wäldern zurückgekehrt in ihre Häuser – oder was davon übriggeblieben ist.

In Velika Krusa sind von 300 Häusern nur noch zehn bewohnbar; es ist in dieser Gegend zu mehreren Massakern gekommen. Hier und in umliegenden Dörfern sind nach den bisherigen Untersuchungen über 500 Menschen ermordet worden.

Scharping und Fischer wollten sich ein von deutschen Soldaten hermetisch abgeriegeltes Haus ansehen, wo über 20 Leichen liegen. Fischer rang unmittelbar danach sichtlich um Fassung. In die hingehaltenen Mikrophone kann er nicht viel sagen, nur daß „die Kriegsverbrechen gesühnt werden“. Und Scharping fügt später bei einem Besuch der deutschen Truppen in Suva Reka hinzu: „Niemand soll dies für eine leere Drohung halten. Wir werden die Verantwortlichkeiten feststellen. Es wird zwar schwierig werden, die Täter dingfest zu machen, aber wir werden in Zusammenarbeit mit Den Haag alles dafür tun.“

In der deutschen Kommandantur in Prizren werden die Minister von der Bundeswehr gebrieft. Die Aktion sei bisher planmäßig verlaufen, erklärt General Fritz von Hauff. Doch er weist auf die Schwierigkeiten hin, eine zivile Verwaltung aufzubauen. Die UN-Verantwortlichen seien erst jetzt eingetroffen.

Die Führung der UÇK habe sich im großen und ganzen kooperativ gezeigt. Die Demilitarisierung laufe, auch wenn mancherorts massiver Druck seitens der deutschen Truppen nötig ist – vor allem um Übergriffe von UÇK-Einheiten auf dagebliebene Serben zu verhindern. So habe man beispielsweise ein Gefängnis der UÇK räumen und Gefangene befreien müssen. Ein 70jähriger Mann sei zu Tode gekommen. Wer dafür die Verwantwortung trage, würde derzeit geprüft.

„Übergriffe auf die serbische Bevölkerung sind zu unterlassen“, sagt Fischer später in Pritina und warnt die albanische Bevölkerung davor, sich einfach der Rache hinzugeben. Brennende Häuser wolle er nicht mehr sehen.

Beiden Ministern kann man trotz der immer noch schwierigen Lage die Erleichterung über das Ende des Krieges anmerken. Die Verantwortung der letzten Monate habe schwer gewogen, sagte Scharping. Er habe zwar nicht daran gezweifelt, daß der eingeschlagene Weg richtig sei, die Bombenfehlwürfe und die Bombardierung der chinesischen Botschaft habe jedoch zu kritischen Momenten geführt.

Kritisch waren wohl auch die letzten Tage vor dem Einmarsch der KFOR-Truppen. Denn nach Informationen aus der Generalität mußte nach der Besetzung des Flughafens von Pritina durch russische Truppen mit dem schlimmsten gerechnet werden. Da es nur zwei Straßen in das Kosovo gibt, „hätte man nur einen der Tunnel sprengen müssen und wir hätten uns nicht mehr bewegen können.“

Bis zuletzt seien die serbischen Artilleriestellungen an den Grenzübergängen verstärkt worden. Hatte Miloevic vor, die Straßen zu sperren und russische Truppen ins Land zu holen, um Luftangriffe zu verhindern? „Die Vermutung ist richtig“, sagt einer der Generäle, „aber die Russen haben nicht mitgemacht.“ Andernfalls wäre es wohl zu einem schwerwiegenden Ost-West-Konflikt gekommen.

„Wir sind ein hohes Risiko eingegangen“, sagt Fischer am Rande der Veranstaltung. Er nimmt die Glückwünsche und eine Rose aus dem Garten von Rückkehrern entgegen. Letztlich sei die Strategie der Regierung richtig gewesen. Auch den Einsatz von Nato-Bodentruppen hätten er, Scharping und der Kanzler wenn nötig in der Öffentlichkeit durchgesetzt.

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