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Die Rückkehr des Flaneurs

Das neue Berlinbild ist unter den Stadtbeobachtern ein kritischeres geworden, dennoch neigen diese Grappa-Urbanisten dazu, die Brennpunkte in der Metropole zu kulturalisieren  ■   Von Uwe Rada

Lange war er eine Figur aus den Feuilletons der 20er Jahre, nun ist er wieder auferstanden. Der Flaneur, jener beobachtende Spaziergänger, der laut Franz Hessel in den Menschengesichtern, Auslagen, Schaufenstern, auf Café-Terrassen, in Bahnen und Autos „Sätze und Seiten eines immer neuen Buches“ formuliert, hat Berlin, die alte und neue Hauptstadt, wieder in den Blick bekommen und die Verleger freuen sich. Im neuen Berliner Architekturjahrbuch spaziert der Architekturkritiker Bernhard Schulz durch Zeit und Raum zwischen Potsdamer Platz und Platz der Republik, und im soeben erschienenen Aufsatzband „Berlin: offene Stadt“ unternimmt der FAZ-Autor Johannes Leutheusser eine Wanderung durch die auseinanderfallenden sozialen und kulturellen Milieus der Stadt und versucht sie damit, zumindest für den kurzen Moment der Lektüre, wieder zu einem heterogenen Ganzen zusammenzubringen.

Die Wiederkehr des Flaneurs ist für die professionellen Werber der Hauptstadt wie die „Partner für Berlin“ sicher ein Glücksfall. Schließlich verkörpert der intellektuelle Typus des städtischen Müßiggängers nicht nur ein erstarkendes bürgerliches Bewußtsein. In den Beobachtungen der Hessels, Kracauers, Schulzens und Leutheussers manifestiert sich auch die Faszination des Neuen, des alles umfassenden Wandels.

„Berlin hat sich nach dem Fall der Mauer in atemberaubender Geschwindigkeit verändert“, heißt es etwa in der Einleitung zum von „Partner für Berlin“ und der Berliner Architektenkammer mit herausgegebenen Buch „Berlin: offene Stadt“. Und weiter ist dort zu lesen: „Das gilt für alle Bereiche des städtischen Lebens. Wohn- und Geschäftshäuser wurden restauriert oder neu gebaut, die soziale Mischung der Viertel ist eine andere geworden, die technische Infrastruktur der Stadt wurde auf den neuesten Stand gebracht.“

Doch trifft dieser Lobgesang auf das „neue Berlin“ tatsächlich das Lebensgefühl, die Stimmung der Berliner? Und wenn ja, welcher? „Der oberflächliche Anlaß, das Exotische, Pittoreske wirkt nur auf Fremde“, hat Walter Benjamin einmal geschrieben. „Als Einheimischer zum Bild einer Stadt zu kommen, erfordert andere, tiefere Motive.“ Was Benjamin in diesen Sätzen als kritischen Anspruch an die Beobachtungen der Flaneure geschrieben hat, ist den zeitgenössischen Stadtbeobachtern durchaus nicht fremd. Nur wenige von ihnen würden sich auf Momentaufnahmen des Pittoresken versteigen. Gleichwohl ist der publizistische Rahmen, in dem sie ihre Feuilletons veröffentlichen, alles andere als ein Fundus der „tieferen Motive“.

Die Textsammlung „Berlin: offene Stadt“ hebt sich immerhin erfreulich von den Hochglanzhymnen auf die Zukunft der Metropole Berlin ab. Vor allem bestechen die Aufnahmen, die Stadtblicke und Ausblicke des Fotografen Erik-Jan Ouwerkerk, die das ganze Buch bebildern. Dennoch stehen selbst die sozialkritischen Beobachtungen von Johannes Leutheusser in einem Zusammenhang, den man getrost mit dem Begriff von der „Kulturalisierung“ sozialer Konflikte bezeichnen kann. Nicht die Kritiker der Berliner Entwicklung wie Harald Bodenschatz oder Hartmut Häubermann, Autor der vielbeachteten Studie über den Wandel der sozialen Mischung in den Innenstadtbezirken, geben hier den Ton an, sondern feingeistige Grappa-und-Pasta-Urbanisten wie der Publizist Gerwin Zohlen, der sich bemüht, Axel Schultes, den Architekten des Kanzleramtes, als neuen Schinkel zu entdecken. „Doch kann dieser Frage zur Reifung Zeit gegönnt werden – wie der Stadt Berlin und ihrer vielen neuen Architektur.“ Das ist schön gesagt, ändert aber nichts daran, daß sich die meisten Beobachter des „neuen Berlin“ angesichts des drohenden sozialen Ungemachs hinter die scheinbar sicheren Mauern des Städtebaus und der Architektur verschanzen.

Die soziale Frage als „Nebenwiderspruch“ – das hat auch im Berlin, das zehn Jahre nach dem Mauerfall auf dem Boden der Tatsachen angekommen ist, noch immer Konjunktur. Wenn aber der Flaneur, kaum auf der Bühne der Stadt angekommen, mit seinem Blick auf die „tieferen Motive“ auch nur Bestandteil einer umfassenderen Kulturalisierung der Stadt ist, eines „neuen Berlin“, das viel mehr ein Angebot für die Neuberliner ist als für die „Einheimischen“, dann stimmt da etwas nicht. Das Neue ist ja keine Qualität an sich. Mit einer Bilanz der Gewinn- und Verlustrechnungen, die weitaus mehr über die soziale und (alltags-)kulturelle Wirklichkeit der Stadt aussagen würde, ließe sich freilich nur das Vertrauen der „Einheimischen“ zurückgewinnen – für das Neue, und darauf kommt es wohl an, ließe sich damit nicht werben. „Berlin: offene Stadt. Die Erneuerung seit 1989“. Nicolai-Verlag, 208 Seiten. „Architektur in Berlin. Jahrbuch 1999“. Junius Verlag, 175 Seiten

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