: Von einem Krieg, den es bald nicht mehr gibt
Die schiitische Hisbullah-Miliz beschießt den Norden Israels mit Katjuscha-Raketen. Die israelische Luftwaffe bombardiert Beirut. Der Schlagabtausch fordert mehrere Menschenleben ■ Aus Jerusalem Susanne Knaul
Die Abitursprüfungen für Tausende Schüler, die im Norden Israels wohnen und am gestrigen Freitag ihre letzten Arbeiten hätten schreiben sollen, fielen aus. Seit Donnerstag sitzen die Menschen entlang der Grenze zum Libanon wieder in Bunkern. Zum ersten Mal seit 1985 kam vom Bürgermeister Kirjat Schmonas der Aufruf an die Bewohner, die Stadt zu verlassen. Die schiitischen Untergrundkämpfer der Hisbullah (Partei Gottes) hatten in der Nacht zum Freitag mit Katjuscha-Angriffen zwei Bewohner Kirjat Schmonas getötet. Ein weiterer Schwerverletzter schwebt in Lebensgefahr.
Auslöser der schwersten Gefechte zwischen Israel und der Hisbollah seit 1996 war offenbar der Katjuscha-Angriff von seiten der Hisbollah auf den Norden Galiläas. Soldaten der Südlibanesischen Armee (SLA) hatten allerdings zuvor auf einen Hisbullah-Beschuß mit leichten Waffen mit dem Einsatz schwerer Artillerie nördlich der sogenannten Sicherheitszone reagiert und dabei eine libanesische Frau schwer verletzt. Auf israelischer Seite hatten sich die meisten Leute bereits in den Bunkern eingerichtet, als trotz der Warnungen der Armee in Kirjat Schmona aufgebrachte Demonstranten auf die Straße gingen und Sofortmaßnahmen des israelischen Militärs gegen die Hisbullah forderten.
Israel hatte noch in der Nacht zum Freitag mit sechs Angriffswellen gegen Ziele im Libanon die größte Offensive der vergangenen drei Jahre gestartet. Bei den Angriffen wurden mindestens sieben Menschen getötet und 50 weitere verletzt. Nach Angaben der israelischen Armee wurden auch ein Kraftwerk im Osten der libanesischen Hauptstadt Beirut, eine Relaisstation bei Damur und mehrere Brücken getroffen. Ganze Wohnviertel Beiruts lagen in der Nacht im Dunkeln, weil der Strom ausgefallen war. Bombardierungen der libanesischen Hauptstadt hatte es seit der Operation „Früchte des Zorns“ im April 1996 nicht mehr gegeben. Der damalige Premierminister Schimon Peres hatte gehofft, mit Bombardierungen auf zivile libanesische Einrichtungen die Regierung in Beirut und schließlich die in Damaskus an den Verhandlungstisch zwingen zu können. Die Operation gipfelte im Massaker von Kfar Kana, als über hundert unbeteiligte Menschen durch einen israelischen Raketenangriff getötet wurden. Auch bei den Angriffen diese Woche gab es Todesopfer unter libanesischen Zivilisten.Knapp drei Stunden nach dem Angriff der Israelis gingen in Kirjat Schmona die Katjuschas nieder, die die beiden Israelis töteten.
Der israelische Militärchef betonte in einem Hörfunkinterview am Freitag, daß Israel „kein Interesse an einer Eskalation hat“. Trotzdem hatte die Armee in der Nacht weitere Stützpunkte der Hisbullah sowie Telefon- und Stromnetze bombardiert. Mofaz warnte die Hisbollah: „Unsere Piloten stehen bereit, sollte die Hisbullah weitere Rakten auf unsere Zivilisten abschießen.“
Die israelischen Militärs vermuten, daß die schiitische Guerilla in der „Zeit zwischen zwei Regierungen in Jerusalem“ neue Spielregeln festlegen will. Demnach werde jeder verletzte südlibanesische Zivilist per Raketenabschuß auf den Norden Israels gerächt. Zu Verletzten unter den Südlibanesen kam es wiederholt bei Aktionen der SLA, die zum Teil autonom von der israelischen Armee vorgeht. Der libanesische Premierminister Salim al-Hoss wandte sich unterdessen an die USA, Druck auf Israel auszuüben, damit die Bombardierungen aufhören.
Die jüngsten Entwicklungen kommen insofern überraschend, da gerade in dieser Woche ein ungewohnt freundlicher Ton zwischen Damaskus und Jerusalem angeschlagen wurde. Hafis al-Assad hatte den neuen israelischen Premierminister geradezu mit Komplimenten überhäuft, und Ehud Barak reagierte umgekehrt mit der Hoffnung auf einen baldigen Frieden zwischen den beiden Nachbarländern. Daß die Hisbullah gerade jetzt ihre Raketen auf Galiläa abschießt, läßt einen Interessenkonflikt zwischen den Schiiten und al-Assad vermuten. Die Hisbullah hatte schon den ersten Truppenrückzug aus der Jezzin-Enklave mit schweren Angriffen auf die SLA begleitet. Die Guerillas wollen sich den Ruhm für den Sieg über die israelische Besatzung nicht nehmen lassen. Für die Partei Gottes gilt es, für die Zeit vorzubauen, wenn sie ihre raison d'être nicht mehr länger auf den Widerstandskampf stützen kann. Wie ernst es al-Assad mit seinen Friedenssignalen an Jerusalem meinte, wird sich spätestens dann herausstellen, wenn neue Waffenlieferungen aus Teheran via Syrien in die libanesische Bekaa-Ebene geliefert werden sollen.
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