■ Elf Jahre lang hat die Mitinitiatorin des Förderkreises für ein Holocaust-Mahnmal, die Journalistin Lea Rosh, auf diesen Augenblick warten müssen: Der Bundestag spricht sich nach einer eher müden Debatte für den von ihr favorisierten Eisenman-Entwurf aus.: Das Ende einer endlosen Debatte
Dafür, daß sie seit elf Jahren auf einen Tag wie den heutigen gewartet hat, sitzt Lea Rosh bemerkenswert gelassen da. Die erste Reihe der Zuschauertribüne des Bundestages ist weitgehend leer, freigehalten für die Ehrengäste. Es sind nur einige wenige Gestalten, die von dieser Bank die Plenardebatte über die Errichtung eines zentralen Holocaust-Mahnmals in Berlin verfolgen. Auf diese Weise kommt Lea Rosh besonders gut zur Geltung.
Den Kopf hoch erhoben, eine Stola in leuchtendem Mix aus Orange und Gelb um die Schultern gelegt, ragt sie über das Rund des Saales unter ihr heraus. Ihr fällt damit in diesen letzten Stunden vor der Entscheidung ein Platz zu, der nicht so ganz unpassend ist. Schließlich hat sie im Ringen um ein Mahnmal, in diesen Jahren der Mühen, aber auch des Gezänks, immer eine herausragende Stellung für sich beansprucht.
Seit 1988 schmiedet Rosh Koalitionen von Unterstützern der Idee, auch in Deutschland ein „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ zu errichten. Seit 1989 gibt es dafür einen Förderkreis. Seit 1997 hat Rosh in dem Entwurf des Architekten Eisenman eine künstlerische Umsetzung ihres Anliegens gefunden. Daß 1999 nun der Deutsche Bundestag und nicht mehr ihre private Initiative das bestimmende Wort hat, was und wie gebaut wird, kann sie ohne Umschweife akzeptieren. Trotzdem täuscht die äußere Ruhe, die sie auf dem Zuschauerbänkchen an den Tag legt.
Die verhaltene Empörung wie die Anspannung, mit der Rosh auf die Bundestagsdebatte blickt, sind schon in einem Gespräch vor dem entscheidenden Tag zu spüren. Zwar gilt allgemein als undenkbar, daß der Bundestag sich gegen jede Form eines Denkmals wendet, doch der Traum von Lea Rosh kann an diesem Freitag immer noch platzen. Was sie aufbringt, ist die Entscheidung des Parlaments, über zwei statt über einen Mahnmalsentwurf abzustimmen. „Ich halte das für ein Unding“, sagt sie. Alternativ zu Rosh' Favorit, den 2.700 Betonstelen von Peter Eisenman, können die Abgeordneten für den Vorschlag stimmen, eine einfache Säule mit dem Schriftzug „Morde nicht!“ zu errichten. „Das ist nicht das Denkmal für die Juden!“ ruft sie mit einem Elan, der unter der Länge ihrer Kampagne nicht gelitten hat. „Wir verabschieden uns dann!“ droht sie im nächsten Atemzug. „Wir verleugnen nicht das, wofür wir angetreten sind!“ Zu beliebig sei das Mordverbot, es fehle jeglicher Hinweis auf die konkreten Opfer, auf die Täter und das Land, in dem der Holocaust möglich gemacht wurde.
An diesem Mahnmal, wie es der Ostberliner Theologe und SPD-Politiker Richard Schröder ins Gespräch gebracht hat, will sich der Förderkreis nicht beteiligen. „Ich sage, dann lieber: gar keins als dieses!“ Lea Rosh hätte nicht fürchten müssen. Deutlich, viel deutlicher als erwartet, fiel die Ablehnung der Schröder-Idee aus. Von 548 Stimmen kann sie gerade mal 188 auf sich vereinigen. Als Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer um kurz vor zwei Uhr das Ergebnis bekanntgibt, liegt hinter den Abgeordneten schon die Abstimmung über Rosh' zweites Herzensanliegen: Das Holocaust-Mahnmal wird tatsächlich, wie von ihr seit 1988 gefordert, ausschließlich den ermordeten Juden Europas gewidmet sein. Ein Antrag, der die Widmung erweitern wollte um „alle Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen“, ist deutlich gescheitert.
Gut vier Stunden dauert die Debatte letztlich, und Lea Rosh sitzt dabei, beherrscht bis in die Zehenspitzen. Nur manchmal legt sie das eine Bein über das andere. Dann verbreiten ihre goldfarbenen Schuhe im Licht, das in den Plenarsaal fällt, ein wenig Glanz. Die Debatte die sich solange zu ihren Füßen abspielt, fällt im Vergleich eher matt aus. Am stärksten fällt das auf bei einem, der sonst ganz gerne ein wenig Glanz versprüht. Kulturminister Michael Naumann von der SPD eröffnet seine Ausführungen seltsam distanziert. Er, der häufig und mit Freuden in den Fundus seiner Erlebnisse und Einsichten greift, um einer Rede ein Glanzlicht aufzusetzen, vermeidet anfangs das Wort „ich“ völlig. Dies ist um so verwunderlicher, als Naumann sich in die öffentliche Diskussion um das Mahnmal ebenso oft wie vehement eingeschaltet hat – und ihm bei der Umsetzung des heutigen Beschlusses eine ganz besondere Stellung zukommen wird. Wie nämlich das Mahnmal letztlich genau aussehen wird, entscheidet eine Stiftung, die den Bundestagsbeschluß umsetzen soll. Neben Lea Rosh' Förderkreis wird ihr auch der Bund angehören – wahrscheinlich vertreten durch den Kulturminister.
Nicht immer war Naumann mit seinen Interventionen auf Wohlwollen gestoßen, manchmal nicht einmal auf Verständnis. Schon im Wahlkampf hatte er den Eisenman-Entwurf abgemeiert. Später hat Naumann den Architekten zu einer Umgestaltung seines Stelenfeldes bewegen können. Das auf Naumanns Wunsch vorgesehene „Haus des Erinnerns“, so der Szenejargon für ein Museum, fiel dann allerdings so massiv aus, daß es nach Ansicht der Kritiker die stumme Eindringlichkeit des Stelenfeldes ruinierte. Der „Nauseman“-Kombi-Entwurf, wie Spötter ihn titulierten, schaffte es nicht mal in die Endabstimmung im Bundestag.
Trotzdem sorgte das Modell bei der Debatte für erhebliche Unruhe. Weil im letztlich gefällten Mahnmalsbeschluß von einem „ergänzenden Ort der Information“ die Rede ist, bangten mehrere Redner, Naumann könne damit doch noch sein Museum verwirklichen. Die Formulierung „ist ein Blankoscheck!“, warnte der FDP-Abgeordnete Hans-Joachim Otto, der „eine Mehrzweckhalle der Betroffenheit fürchtet“. Gerade weil ihm an Eisenmans Feld gelegen sei, mißtraue er der vagen Formulierung in der Beschlußempfehlung: „Hier ist eine Gefahr, daß das Stelenfeld zum Anhängsel eines Ausstellungshauses wird.“ Der Minister lauschte aufmerksam, doch als er ans Rednerpult tritt, vermeidet er sorgfältig jede Festlegung zu der Frage. Naumann liebt es, sich Verhandlungsoptionen offenzuhalten.
Auch in der Debatte bekam Naumann Schelte zu hören. Eine Geschmacklosigkeit sei es gewesen, griff der kulturpolitische Sprecher der CDU den Kulturminister an, daß dieser das ursprünglich 4.000 Stelen große Eisenmann-Feld mit dem Monumentalismus eines Albert Speer verglichen habe. Elf Jahre haben deutsche Politiker und Bürger um ein Holocaust- Mahnmal gerungen. Der Tag der Entscheidung endet, wie solche Freitage im politischen Bonn eben enden. „Die Sitzung ist geschlossen“, sagt Vollmer. Patrik Schwarz
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