■ Peter Unfried: Tor für Deutschland
Vorbemerkung: Bitte beachten Sie, verehrteR LeserIn und FreundIn, das literarische „Arschloch“ in der folgenden Geschichte könnte auch „Ich“ sein oder sonst jemand – Sie aber natürlich auf keinen Fall.
Ich schloß schnell die Plastiktasche und tat, als ob ich sauer sei. „Wo kommst denn jetzt erst her, Arschloch?“
Arschloch ist doof und liebt Boris. Hat er sich womöglich doch eine d-Box gekauft?
Arschloch wedelte aufgeregt. „Stau in der Stadt“, sagte er. „An den Kaufhausschaufenstern drücken sich Tausende ihre Nasen platt.“ Ich knuffte ihn jovial in die Fresse. „Hast du wieder Bild auswendig gelernt, Arschi.“
Da wollte Arschloch natürlich nichts von wissen.
„Sauerei“, pupste er zum tausendsten Mal, „warum zeigen Aerdee und Zettdeeff kein Tennis?“
„Weil die Einschaltquoten von TOB miserabel sind.“
Er: „Was für 'n Ti-o-bi?“
Ich: „Tennis ohne Boris.“
Er: „Aber Boris spielt doch.“ Und jeder wolle Tennis sehen. Das stünde doch „ganz klar in der Zeitung“.
Tja, wenn er Zeitung sagt, meint er halt Bild. In dieser Beziehung ist Arschloch Harald Schmidt.
Ich: „Das ist doch alles ein saublöd raffinierter Hype der Kirch- und Springer-Jungs, nur damit sich so ein Vollidiot wie du eine d-Box kauft.“
„Hypepopype“, sagte Arschloch beleidigt und erzählte, wie er in den letzten Tagen im Internet nach Boris geschaut habe: www. wimbledon.com/scores Immer mit dem Cursor auf das Aktualisierzeichen, diese unerträgliche Spahanannung ... das mache sein Herz „nicht mehr lange mit“.
Aha.
Nix, aha. Das sei eben im Moment die „Geburtsstunde eines neuen Mediums“, keuchte Arschloch. Typisch! Eben noch geflucht, jetzt schon halb auf dem Weg ins Fachgeschäft.
Ich versuchte in meiner gutmütigen Art noch mal zu erklären, daß Herr Becker ein Kirch-Kumpan sei und sich nur deshalb noch mal so angestrengt hatte, um Idioten wie ihn zu Leo Kirch zu treiben.
„Niemals“, sagte Arschloch, „Boris ist gut und rein.“
„Ja ja, und in Cottbus freut man sich über jeden schwarzen Mitbürger.“
Kapierte er natürlich nicht.
„Vergiß doch mal Boris“, sagte ich. „Viel wichtiger istdoch, daß Dieter Thomas Heck nicht verschlüsselt ist.“ Und Cindy und Bert und solche. Das glaube ich übrigens tatsächlich. Dann hätte dieses Land wirklich ein Problem.
Arschloch sah rätselnd sein leeres Glas an. Dann drehte er abrupt seinen Suffkopf weg. „Monsieur le garçon!“ schrie er aufgeregt und rannte dem Ober hinterher. Nicht zu glauben. Dieser unhöfliche Emporkömmling ließ mich stehen wie Wickert (56) den Herrn Bundeskanzler.
Später, nachdem ich ausgeschmollt hatte, schwafelte ich großflächig über die seltsame Sehnsucht der alten Leute nach alten Helden. Dann stellten wir eine Rangliste auf, wer noch dringend etwas gewinnen bzw. den jungen Schnöseln ihre Plastikohren langziehen sollte.
Arschloch war für Niki Lauda bei den Schumachers. Ich für Nadja Abdel Farrag bei Veronas.
„Sag nicht bloß Verona“, zischte Arschloch.
– ??? –
Nur Boris und Steffi seien „so einmalig“, daß der Vorname reiche. Wir probierten: Franz? Gerhard? Max? Johannes? Ich kam dann auf Joschka und Berti, aber das wurde von Arschloch als „Kosenamen“ abgelehnt. „Kosenamen?“ quiekte ich und wollte mich künstlich aufregen, aber da war Arschloch schon an der Tür.
Er faselte er von einer „geilen Tennisparty“, zu der er jetzt gehe, wo man Erdbeerbowle trinke, lustige Hüte trage und auf premiere digital Boris gegen Rafter schauen könne.
„Verpiß dich“, sagte ich verächtlich und schnappte nach meiner Saturn-Plastiktasche. Wurde ja höchste Zeit, daß ich auch mal heim ging. Sonst kriegte ich den verfluchten Decoder womöglich nicht mehr angeschlossen, bevor Boris anfing.
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