: Empörung, Schweigen und Tränen
■ Die 60.000 Kurden in Berlin reagierten mit Entsetzen und Trauer auf das Todesurteil gegen PKK-Führer Öcalan. Die Proteste, die es bis zum Abend gab, verliefen friedlich
Als im türkischen Fernsehen Nationalisten aufsprangen, um das Todesurteil zu feiern, hatten die Kurden genug. Ausschalten, forderten sie. Im türkischen Sender TRT wurde gestern die Verurteilung des kurdischen PKK-Führers Abdullah Öcalan auf der Insel Imrali an der türkischen Westküste gefeiert. Nun soll er wegen Hochverrats gehängt werden. Doch kaum war der Zorn der Kurden verflogen, wurde es still im kurdischen Kulturzentrum „Koc-Dem“ am Mehringdamm. Entsetzen, Empörung und Trauer machten sich breit. Betroffen schauten viele auf die Tische und schwiegen. Einige hatten Tränen in den Augen, manche weinten.
Aber es herrschte bis zum Abend Ruhe unter den etwa 60.000 in Berlin lebenden Kurden. Das war nicht unbedingt zu erwarten, nachdem Mitte Februar die Verhaftung Öcalans zu Massenprotesten in ganz Europa und in Berlin zur Besetzung des griechischen und israelischen Generalkonsulats geführt hatte. Dabei hatten israelische Sicherheitsbeamte vier Kurden, eine Frau und drei Männer, erschossen.
Kurzen Prozeß hatten auch die Richter Öcalans gemacht: Das Urteil, so meinten fast alle Kurdinnen und Kurden, stand sowieso von Anfang an fest. Kein Zufall auch, vermutet Giyasettin Sayan, Vorstandsmitglied der Kurdischen Gemeinde und PDS-Abgeordneter, daß das Urteil gerade gestern erging: An diesem Tag hat die türkische Regierung 1925 unter Kemal Atatürk 47 Anführer eines Kurden-Aufstands hingerichtet.
Erst am Abend wollten sich Vertreter kurdischer Vereine treffen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Bis dahin waren keine Protestaktionen geplant. Doch einige hielt es nicht auf ihren Stühlen. Vor dem Abgeordnetenhaus sammelten sich etwa 100 Kurden und zogen in Richtung SPD-Parteizentrale in der Wilhelmstraße. Auch eine Kundgebung im kurdischen Kulturzentrum „Koc-Dem“ blieb bis zum Abend friedlich. Nur kurzfristig versammelten sich etwa 70 Kurden am Kottbusser Damm.
„Der Senat ist sich einig, daß dieses Todesurteil abzulehnen ist“, erklärte der Sprecher des Senats, Michael-Andreas Butz. Die Landesregierung appellierte „besonders an die in Berlin lebenden Kurden, sich nicht zu unbedachten Aktionen hinreißen zu lassen“. Berlin und Deutschland seien an „den Auseinandersetzungen innerhalb der Türkei unbeteiligt“, betonte Butz. Aber: „Verstöße gegen unsere Rechtsordnung werden nicht hingenommen.“
Der Migrationsexperte der Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus, Riza Baran, kritisierte, daß das Todesurteil „europäischen Menschenrechtsstandards“ widerspreche. Seine Fraktion rief alle „relevanten politischen Kräfte“ dazu auf, „alles zu tun, damit dieses Todesurteil nicht vollstreckt wird“. Der PDS-Politiker Sayan nannte das Urteil einen „primitiven Racheakt der türkischen Regierung an der PKK“. Damit wolle sie auch das Streben des kurdischen Volkes nach Selbstbestimmung bestrafen. Es bedeute zudem „politisch die Inkaufnahme einer weiteren Eskalation des Konfliktes zwischen dem türkischen Staat und dem kurdischen Volk“. Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) plädierte für die Abschaffung der Todesstrafe und forderte Ankara auf, die Hinrichtung auszusetzen. Alper Baba, Vorstandsmitglied der Kurdischen Gemeinde, kündigte gestern an, daß Kurdinnen und Kurden in Europa gegen das „ungerechte und gesetzwidrige Urteil“ protestieren werden – aber „nur im demokratischen Rahmen“, betonte er. Philipp Gessler
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