: So war es. Aber war es so?
■ Mehr Drama als Doku: Republikflucht 89 im Film („Einfach raus“, 20.15 Uhr, ARD)
Natürlich haben wir uns gefragt, was das wohl für Leute sind, die einfach ihre Autos vor der ungarischen Botschaft parken und dann so mir nichts, dir nichts über den Zaun rübermachen. Ab in unseren Westen. Wo kommen die her, wo wollen die hin?
Sicher haben wir hüben wie drüben in diesem Sommer 1989 gebannt auf jene Panzerglasmattscheibe geschaut, die uns alle noch eine Weile vor der Wucht der deutsch-deutschen Vereinigung schützte. Das Fernsehen war ein Motor der friedlichen Revolution von 1989, so überrascht es kaum, daß dieses Wunder nun zehn Sommer später seinen Weg zurück in den Kasten nimmt.
Der NDR-Fernsehspielredakteur Horst Königstein entwickelte einst die Handschrift von Heinrich Breloer mit, der das Doku-Drama als eigene Form sogar bei der ehrwürdigen Adolf-Grimme-Akademie salonfähig machte, der Institution mit dem gleichnamigen Preis. Und das, obwohl die assoziative Vermischung von fiktiven Spielszenen und echtem Dokumentarmaterial eigentlich allen Regeln der Kunst widerspricht. Aber diese Amour fou hat ihre eigenen Reize, führt sie doch die Faszination des Zuschauers für alles Authentische zusammen mit seinem Bedürfnis, dramaturgische Lücken dem Sinne nach aufzufüllen, intimere Perspektiven dazuzuerfinden, die große Geschichte in kleinen Worten und Bildern nachvollziehbar zu machen. So war das also wirklich in der entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“, sagen uns Breloers Doku-Dramen; so war es am Rande der Badewanne von Rainer Barzel oder im sowjetischen Exil Herbert Wehners!
So war das also im Sommer 1989 in Budapest, als die DDR-Camper über Nacht ihre Zelte (und ihre gesamte Existenz) stehen und liegen ließen, nur um „einfach raus“ zu kommen. Leider erreicht „Einfach raus“ nie die hohe Breloersche Schule. Vielmehr bleibt das Stück eine konventionell gebaute Fernsehspielgeschichte, die sich in ihrem Ablauf an die historischen Ereignisse aufdringlich anschmiegt und sich aus bloßen Bebilderungszwecken des „Tagesschau“-Materials bedient. Mehr ist hier aus der deutsch-deutschen Vereinigung nicht geworden.
Autor Torsten Schulz erzählt episodenhaft den Aufbruch verschiedener DDR-Flüchlinge. Da ist zunächst Andreas, 21, Sohn eines SED-treuen Lehrers. Andreas will den Ausflug nach Ungarn zur Flucht nutzen, einfach weil die Gelegenheit so günstig ist. Auch Michelle ist jung und will um jeden Preis rüber. Als sie, um dieses Ziel zu erreichen, ihren Freund Hans im Lager kalt abserviert, wachsen die Skrupel doch: Ist der Preis für die Freiheit vielleicht zu hoch? Das fragen sich auch Renate und Manfred Reimann, als sie das Warten in der Enge der Botschaft kaum noch aushalten. So also war das. Das also waren die Leute, die wir damals im Fernsehen sahen. Aber wer waren sie?
Dem Film fehlt viel. Jene Akribie zum Beispiel, mit der Breloer seine Recherchen unter den Zeitzeugen betreibt – sie hätte dem Ganzen entschieden gutgetan. Weil man aber auf „echte“ Flüchtlinge verzichtete, fehlen auch die exakt aufs Wort geschnittenen Wechsel zwischen den nachgestellten Szenen und den Interview-Erinnerungen der wahren Helden. So sehr Regisseur Peter Vorgel sich auch um die Dichte seiner Inszenierung bemüht, bleibt uns doch stets gewärtig: Hier spielt Ulrich Mühe den Typ hyperkorrekter DDR-Bürger, dort weint sich Susanne Lothar als seine Frau in den Schlaf. Hier schmollt Cosma Shiva Hagen als kommende Generation, dort jubelt Inga Busch als naive BRD-Neubürgerin. Sie alle werden uns als Platzhalter präsentiert für die vielen hunderttausend, die aus persönlichen Gründen eine Geschichte von historischer Tragweite möglich machten. Nur hinter der Panzerglasmattscheibe bleibt alles leblos, will das Wunder niemand so recht erlebt haben.
Warum nur, so fragt man sich, fanden sich keine Flüchtlinge von einst, die vom heutigen Standpunkt aus erzählen, wie sie damals dachten und fühlten? Warum sollte diese letzte deutsch-deutsche Geschichte, die wir alle doch jeden Tag immer noch erleben, unbedingt paradigmatisch erzählt statt persönlich nachempfunden werden? Klaudia Brunst
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