: Abdullah Öcalans Richter: „Ich hatte keine Wahl“
■ Der PKK-Chef wird wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Europäische Regierungen und Organisationen fordern, das Urteil nicht zu vollzustrecken
Istanbul/Berlin (taz) – „Ich bin gegen die Todesstrafe, aber ich konnte angesichts der bestehenden Gesetze kein anderes Urteil fällen“ – Richter Turgut Okyay, der im „Jahrhundertprozeß“ den PKK-Chef Abdullah Öcalan zum Tode verurteilt hat, sprach die eigentlich überraschenden Worte erst nach Sitzungsschluß aus. „Alle sind Menschen“, sagte er mit Seitenblick auf die Nebenkläger, die Abdullah Öcalan als „Bestie“ bezeichnet hatten.
Dieses Urteil war erwartet worden, es löste nur bei denen im Saal Emotionen aus, die in diesem 15jährigen Krieg ihre Angehörigen verloren haben: Mütter von Gefallenen fielen in Ohnmacht, durch Landminen zu Krüppeln gemachte junge Männer weinten. Niemand war wirklich glücklich. „Seit Jahren küsse ich nur den kalten Grabstein aus Marmor“, sagte eine Mutter, „auch wenn er hängt, kommt mein Sohn nicht zurück.“
Vom Präsidenten Süleyman Demirel bis hin zu einzelnen Parteivertretern begrüßte die gesamte Staatsriege das Todesurteil. Demirel meinte unbeteiligt: „Die Anforderungen des Rechts werden erfüllt.“ Ministerpräsident Bülent Ecevit, der aus Prinzip gegen die Todesstrafe ist, ließ die Frage nach der Vollstreckung unbeantwortet. Lieber wies er auf das „Reuegesetz“ hin, das demnächst im Parlament behandelt wird. Es sieht deutliche Strafmilderung für PKKler vor, die ihre Waffen niederlegen. Wer sich noch nicht an bewaffneten Aktionen beteiligt hat, soll straffrei ausgehen.
Europäische Regierungen und Menschenrechtsorganisationen haben mit Bedauern auf das Todesurteil reagiert und einen Verzicht auf die Hinrichtung verlangt. Bundesinnenminister Otto Schily, Justizministerin Herta Däubler-Gmelin und der CDU-Außenpolitiker Karl Lamers kritisierten die Entscheidung des türkischen Staatssicherheitsgerichts ebenso wie der Europarat. Die Schweizer Regierung äußerte die Hoffnung, daß die Türkei an dem seit 1984 geltenden Moratorium für Hinrichtungen festhält. In keinem der 41 Mitgliedsstaaten sei in den letzten zwei Jahren ein Todesurteil vollstreckt worden, erklärten führende Vertreter des Europarats. Amnesty international forderte die türkische Regierung auf, die Todesstrafe abzuschaffen.
Wenn das Urteil – frühestens im Oktober – dem Parlament vorgelegt wird, wird es auch bestätigt werden. Außer Ecevits Partei der Demokratischen Linken hat sich niemand in der Türkei dagegen ausgesprochen. Aber auch dann ist eine Exekution nicht zwingend. Die nüchterne Diskussion kreist um die Frage, ob eine Hinrichtung Öcalans wirklich „zum Wohle des Landes“ sei und dem Frieden diene. Große Massenblätter wie Sabah und Hürriyet vertreten mittlerweile die Ansicht, daß sich die Türkei mit Öcalans Exekution völlig von Europa loslösen würde. Es wird davon ausgegangen, daß Öcalans Anwälte den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen werden und dieser sich gegen die Vollstreckung des Todesurteils stellen wird. Wenn Öcalan trotzdem gehängt werden sollte, gilt auch ein Ausschluß aus dem Europarat als sicher –Entwicklungen, die weder die Armee noch die führenden Politiker gerne sähen.
Journalisten berichten immer häufiger über die Stimmung in der kurdischstämmigen Bevölkerung und warnen vor einer Hinrichtung, die die Wunden vertiefen und Öcalan erst recht zum Helden machen würde. Osman Özcelik, der stellvertretende Vorsitzende der kurdischen Partei Hadep, sagte: „In der letzten Zeit haben die Medien angedeutet, daß das Urteil nicht vollstreckt wird. Wir hoffen, daß diese positive Stimmung anhält und sich verbreitet.“ Özcelik stellte sich hinter Öcalans Friedensangebot und warnte vor „Chaos“ im Falle der Exekution.
Die Protestkundgebungen einiger hundert Kurden in mehreren deutschen Städten verliefen nach Angaben der Polizei zunächst ohne Zwischenfälle, nachdem die PKK-Führung am Morgen zu friedlichen Protesten aufgerufen hatte. Dilek Zaptçioglu
Tagesthema Seite 3
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