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CDU-Provinzfürst auf verlorenem Posten

Liberale Nachwuchskräfte setzen sich bei den Personalquerelen innerhalb der Hauptstadt-Union in Nachwahlen durch  ■   Von Ralph Bollmann

Der Kreisvorsitzende konnte seine Nervosität nicht verbergen. Mit zitternder Hand rauchte Ekkehard Wruck eine Zigarette nach der anderen, blies zur Ablenkung Luftballons auf und zwinkerte seinen Getreuen wissend zu.

Tatsächlich ging es am Dienstag abend um mehr als nur um die Aufstellung eines Kandidaten für irgendeinen Wahlkreis, als sich die Delegierten der Berliner CDU-Hochburg Wilmersdorf in einem kahlen Sitzungssaal der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen versammelten.

Auf der Tagesordnung stand vielmehr die Frage: Haben in den Berliner Parteien profilierte Nachwuchskräfte eine Chance? Oder bestimmen weiter die Provinzfürsten aus den Bezirken, wer ins Landesparlament einziehen darf?

Für Wruck, der sich als besonders hartleibiger Provinzfürst einen zweifelhaften Ruf erarbeitet hat, war es eine Niederlage, daß es zu dem neuerlichen Zusammentreffen überhaupt kam.

Schließlich hatte der Kreisverband seine Kandidaten für die Landtagswahl im Herbst bereits vor vier Monaten bestimmt. Damals hatte Wruck (56) die Abgeordnete Monika Grütters (37) und den Staatssekretär Peter Kurth (39), die in der Landespartei als liberale Nachwuchshoffnungen gelten, gnadenlos abserviert.

Doch zwischenzeitlich mußte sich die Berliner CDU vom Landeswahlleiter belehren lassen, daß ihre Satzung dem Wahlgesetz widerspricht. Daß bei der Aufstellung der Kandidaten nicht nur die Delegierten, sondern von Amts wegen auch die Mitglieder des Kreisvorstands abstimmen dürften, sei nicht zulässig. Der Partei blieb nichts anderes übrig, als die Nominierung dort zu wiederholen, wo es bei einem knappen Ergebnis auf diese Stimmen ankam.

Der Landesvorstand drängte die betroffenen Kreisverbände zur Neuwahl. Allein Wruck in Wilmersdorf blieb standhaft. Erst Montag nacht stimmte Wruck nach einer langen Sitzung des Parteigerichts einem Kompromiß zu.

Bei der Wiederholungswahl ging der Landesvorstand auf Nummer Sicher. Sogar den Justitiar der Bundespartei hatte er aufgeboten. Der CDU-Landesvorsitzende und Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen eröffnete die Sitzung persönlich – und sprach vorsichtig von „ein paar Irritationen“ im Vorfeld.

Doch Wruck hatte den Kampf noch nicht aufgegeben. Vor seinen Qualitäten als Strippenzieher hatten selbst seine Gegner solchen Respekt, daß sie die Wahl fast schon verloren gaben. Noch während des ersten Wahlgangs erklärte Ex-Senator Volker Hassemer, einer der Exponenten des liberalen Flügels, eine Abstimmungsniederlage sei „weder für Kurth noch für Grütters politisch tödlich“.

Dann verkündete Versammlungsleiter Stefan Schlede das Ergebnis: 28 Stimmen für Grütters, 28 Stimmen für Wrucks Kandidatin Anke Soltkahn. „Wir haben damit kein Ergebnis“, fügte er hinzu. Dann der zweite Wahlgang: 28 zu 28. „Es hat ja keinen Sinn, daß wir so lange warten, bis während des Wahlgangs jemand auf der Toilette ist“, warnte Schlede.

Worte, die offenbar Wirkung zeitigten. In der Einsamkeit der Wahlkabine entschloß sich ein Delegierter, den Stimmzettel ungültig zu machen. 28 Stimmen also für Grütters, nur 27 Stimmen für die Gegenkandidatin. Jubel auf der linken Seite des Saals.

Wenig später war Wrucks Niederlage komplett. Auch die Bezirksliste mußte von Platz vier an neu gewählt werden. Auf Anhieb erhielt Kurth, der zugunsten von Grütters auf eine Bewerbung um das Direktmandat verzichtet hatte, eine Mehrheit.

Wruck, der bis Montag noch heftig gegen eine Wahlwiederholung polemisiert hatte, suchte das Gesicht zu wahren: „Das ist eine demokratische Wahl. Die habe ich zu respektieren.“ Sein Vize Jürgen Adler hatte noch kurz zuvor orakelt, es handele sich nur um eine „Wahlwiederholung auf Verdacht“. Für das andere Lager kündigte der CDU-Abgeordnete Michael Braun an, er werde die Klage nicht zurückziehen, die er in Kurths Namen beim Parteigericht eingereicht hatte. Auch die übrigen Wilmersdorfer Kandidaten müßten neu gewählt werden.

Gleichwohl erklärte Landesgeschäftsführer Volker Liepelt, mit der Wahlwiederholung habe die Partei „die juristischen Risiken eingegrenzt“. Eine Ablehnung der Wahlvorschläge durch den Wahlleiter drohe nun nicht mehr. Das Risiko einer innerparteilichen Wahlanfechtung, sagte Liepelt, müsse man eben „in Kauf nehmen“.

„Es hat ja keinen Sinn, daß wir so lange warten, bis jemand während des Wahlgangs auf der Toilette ist“

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