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Party-Politics im Wohnmobil

■ Mit dem Bremer „Party Project“ auf einer Goa-Party im Mecklenburgischen / „Geh'n wir tanzen“, sagt Axel, weil wieder jemand Pilze oder Speed kaufen will

Samstag, 26. Juli, Mecklenburg-Vorpommern, irgendwo zwischen Mirow und Vipperow. Eine Gruppe von etwa 30 jungen Menschen sitzt in einem WK-II-Hangar auf Wasserkästen und Holzpaletten. Schwalben nisten unter der Betondecke. Ein Mann mit Rastazöpfen stillt sein Baby im bunten Tragetuch mit der Flasche. Ein Hund läuft herum. Es fallen Worte wie „Workshop“, „Performance“, „Theater“, „DJ“ und „Live Act“. Der Bremer Sozialpädagoge Matthias Kelting läßt eine Tüte mit Kondomen (Erdbeergeschmack) herumgehen. Was geht hier ab?

Vernetzung geht ab. Matthias Kelting arbeitet beim „Party Project“ in der Buchtstraße, einer Präventionseinrichtung, die sich auf Partydrogen spezialisiert hat. Wenn er sich nicht gerade vernetzt, ist er hier in Bremen auf Techno-Parties im Tivoli und im Pier 2 anzutreffen, gemeinsam mit Psychologin Carmen Garcia und Honorarkraft Lu von Friedrichs. Die drei verteilen dann ebenfalls Kondome, aber auch Informationsbroschüren und Obst. Carmen und Lu sollen auch hier sein, auf der Goa-Party auf dem stillgelegten Flugfeld. Bis jetzt haben wir sie noch nicht getroffen, bei annähernd 7.000 BesucherInnen ist das auch wahrlich kein Wunder.

Vernetzung bedeutet, daß sich die etwa 40 Gruppen des „Sonics – Cybertribe-Netzwerks für Rhythmus und Veränderung“ ab und zu treffen, Informationen austauschen, gemeinsam Parties organisieren. Zum Netzwerk gehören etwa „Eve & Rave“ aus Berlin oder „Alice“ aus Frankfurt. Die Gruppen haben ganz unterschiedliche Schwerpunkte. Einige experimentieren mit musikalischen Ausdrucksformen, einige sind betont gegenkulturell ausgerichtet, andere informieren vorrangig über psychoaktive Substanzen oder organisieren Parties. Sie sind selbst ein Teil der Szene, sie sind, wie es in einer Broschüre heißt, „idealistisch ausgerichtete Gemeinschaften, kleine Cybertribes“. Und das ist der Knackpunkt.

Auch für Nadja Wirth von der „Beratungsstelle für synthetische Drogen und Cannabis“ in Bochum ist es das erste Netzwerk-Treffen. Und gemeinsam mit Matthias Kelting muß sie feststellen, daß man nicht wirklich willkommen ist. Den staatlich geförderten Projekten wird von den anderen Gruppen der Idealismus abgesprochen. Wer Kohle vom Staat kriegt, so mag der Gedankengang sein, der kann nicht unabhängig arbeiteten. Es ist eben doch nicht alles peace & love & happiness. Auch hier greifen Ausschlußmechanismen, auch hier gibt es Eitelkeiten und kleinlichen Hickhack um Formalien.

Matthias ist enttäuscht. Gemeinsam mit dem EDV-Berater des „Party Project“, Axel Stahlhut, sitzen wir im Kontacta-Bus, einem graffitiebesprayten und zum Wohnmobil umgebauten Mercedes-Transporter des Präventionszentrums Bremen-Nord, und trinken Bier. Matthias hatte den Bus, der ansonsten soziale Brennpunkte ansteuert für diese Dienstreise zur Verfügung gestellt bekommen. Von Ferne wummert die Musik, fünf Tage lang, 24 Stunden am Tag. Ab und zu klopft jemand an den Bus, will Pilze oder Speed kaufen oder verkaufen. Wir wollen uns die Laune nicht vermiesen lassen. „Gehen wir tanzen?“ fragt Matthias. „Gehen wir tanzen“, sagt Axel.

Tim Ingold

Wer sich über die Arbeit des „Party Project“ informieren möchte oder eine Beratung wünscht, kann unter  33 99 33 4 anrufen oder sich die Homepage im Internet anschauen: http://www.party-project.de

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