: Grüne: „In Schönheit sterben oder koalieren“
■ Grün oder schon grau? Erbe der Linken oder der Liberalen? Zur Profil-Debatte der Grünen befragte die taz die grüne Fraktionssprecherin Karoline Linnert: „Wir müssen einfach mehr Selbstbewußtsein entwickeln“
Karoline Linnert, neue Fraktionssprecherin der Grünen und Sozialpolitikerin im Gespräch mit der taz über grüne Programmatik, das neue Papier junger Grüner, die verpatzte Bremer Wahl und Zukunftsansichten.
taz: Bereiten sich die Bremer Grünen schon auf die neue Rolle der besseren FDP vor?
Karoline Linnert: Die FDP verwechselt die Einführung hemmungsloser Marktgesetze in den Sozialbereich mit Liberalität. Das ist bisher nie grüne Politik gewesen. Für uns besteht trotzdem Konsens darüber, daß wir das Papier in Bremen diskutieren werden. Es werden ja auch Defizite genannt, die ich zum Teil teilen würde – zum Beispiel, daß die Grünen eine Politik nach dem Gusto „Nichts ist unmöglich – Toyota“ machen – daß also jeder bei uns alles sagen darf. Darüber geht natürlich politisches Profil verloren.
Geschah das auch auf Landesebene in vier Jahren großer Koalition? Die designierte SPD-Senatorin Hilde Adolf hat schließlich jüngst durch die Blume gesagt: Die Grünen kannst Du doch in der Pfeife rauchen.
Die SPD in Bremen existiert doch gar nicht mehr. Es gibt nur noch einen Henning-Scherf-Gefolgeverein – und ich sage an Hilde Adolf gerichtet: Die Radikalsten sind immer die größten Leisetreter. Wie oft wurden wir von Sozialdemokraten aufgefordert, dicke Backen zu machen und bestimmte Fragen in den Mittelpunkt zu rücken – und wie wurden wir dann gescholten, wenn wir in bestimmten Fragen mit der CDU geredet haben: Das alles sind doch nur Projektionen der eigenen politischen Rückgrat- und Orientierungslosigkeit.
Trotzdem hat der Wähler die Große Koalition gewählt. Offenbar macht es ihm nichts, daß die SPD sich Richtung CDU bewegt?
Die große Koalition hat es geschafft, ihre Politik als alternativlos darzustellen. Dabei beruht die ganze Sanierung Bremens auf Glauben und Beschwörung. Wir spucken heute in die Hände, begehen Härten und Schulden, damit morgen alles besser wird. Und die Menschen wollen, daß morgen alles besser wird. Die Grünen dagegen haben es nicht ausreichend geschafft, zu zeigen, daß es in Bremen morgen nur besser wird, wenn man mehr macht, was wir wollen. Die Leute denken, daß wir keine attraktive Zukunft zu bieten haben – sondern eine, die langweilig ist, selbstgestrickt, lustfeindlich und nervig.
Und das allein erklärt die herbe Wahlniederlage?
Es gibt mehrere Dinge, die wir falsch gemacht haben: Wir haben zum einen detailverliebt und bienenfleißig, dem Grundsatz folgend, allen wohl und niemandem wehe, gearbeitet. Das gilt für mich genauso wie für andere.
Und wo geschah das?
Ein gutes Beispiel dafür ist unser Wahlprogramm: Trotz aller Bemühungen, uns zu konzentrieren ist es ein richtiges Sammelsurium geworden. Man kann, zum Beispiel in der Umweltpolitik, nicht gleichzeitig ökologisch bauen, Energie einsparen, die Landwirtschaft fördern. Das steht alles so ungewichtet nebeneinander ...
... weil die Grünen nirgendwo wirklich anecken wollten?
Wenn man überall nur ein bißchen aneckt, entsteht der Eindruck, man will nicht anecken – und das ist falsch.
Soll das anders laufen?
Früher haben wir zum Beispiel Arbeitskreise gehabt, die sich an den einzelnen Senatsressorts orientiert haben. Jetzt haben wir die Arbeitskreise reduziert und wollen sie an bestimmten Themenbereichen entlang organisieren. Da ist zum Beispiel der Bereich „Jugend und Bildung“, in den jetzt der Sport- und Arbeitsmarktbereich integriert ist. Der zweite Bereich ist „Wirtschaft und Finanzen“, der dritte „Umweltschutz und Stadtentwicklung“. Damit wollen wir eine Politik aus einem Guß hinbekommen und uns mehr nach außen präsentieren.
Das betrifft die Organisationsstruktur. Aber was ist mit dem politischen Profil und potentiellen Regierungspartnern? Oder wollen die Grünen auf Dauer in der Opposition bleiben?
Erstens: Wir biedern uns niemandem an. Wir machen eine klare Oppositionspolitik, denn dafür haben wir jetzt einen Auftrag. Ich bin dafür, ein soziales Profil der Grünen zu schärfen. Es ist nicht richtig, Space-Park-Investitionen in Millionenhöhe zu leisten und sich nicht darüber Gedanken zu machen, was mit den Schulen passiert. Das ganze Gerede von Technologie ist hohl, wenn man gleichzeitig die Technik-Einführung in den Schulen vernachlässigt. Sozialhilfeempfangende Kinder haben keinen Zugang zu PCs – wenn man das nicht ändert, ist in der modernen Gesellschaft eine soziale Ausgrenzung programmiert.
Solche sozialen Fragen haben bei den Wahlen aber gar keine Rolle gespielt.
Wir müssen CDU und SPD als Opposition zwingen, sich dieser Fragen verstärkt anzunehmen. Die Opposition beschließt keine Gesetze oder den Haushalt.
Also doch nur Opposition?
Es ist geistlos, jetzt irgendwelche Farbenlehren zu beginnen. Die Grünen sind die politische Kraft, die sich dadurch auszeichnen sollte, Inhalte in den Mittelpunkt zu stellen – und wenn sich irgendwann herausstellt, daß wir mit diesen Inhalten in Schönheit sterben oder in der Opposition bleiben, oder mit der SPD oder mit der CDU koalieren, dann ist das vielleicht irgendwann so. Aber das ist nie das Ziel. Das Ziel ist, die Sachen anzugucken und zu analysieren. So geht Politik und nicht: Wir brechen jetzt mal ein paar Tabus und schreiben ein neues Strategiepapier. Die Leute drücken sich davor, eine Meinung zu haben. Die Grünen müssen sich an bestimmten Punkten entscheiden ...
... und dann aber auch sagen, was geht und was nicht im überschuldeten Land. Stattdessen kommentieren die Grünen den neuen Koalitionsvertrag und sagen: Bildung braucht mehr Geld und Soziales soll nicht der Verlierer sein. Aber wo soll stattdessen etwas abgeknapst werden?
Wir haben schon gesagt, daß der innenpolitische Bereich sehr nobel ausgestattet wurde. Da haben wir schon Vorstellungen gehabt, wo man kürzen kann. Aber gleichwohl stimme ich der Analyse zu: Da ist es uns nicht gelungen, uns ein kantiges Profil zu verleihen.
Und wo wird es jetzt kantiger? Welcher Bereich bekommt künftig weniger ab?
Mit dieser Art von Wirtschaftsförderung mit 2,2 Milliarden Mark Schattenhaushalt kann man so nicht weiter machen. Es geht nicht an, Großprojekte nicht mal einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zu unterziehen. Es findet eine Finanzverteilung statt, die absolut unsozial ist.
Die Bremer wollen aber doch, haben Sie selber analysiert, in Zukunft eine attraktive Stadt haben?
Wir wollen eine lebendige Innenstadt, die die große Koalition zu ruinieren droht – und wir wollen ein zukunftsfähiges Bildungswesen. Der Standort Bremen soll attraktiv sein, weil Leute hier Schulen mit einer guten Grundbildung verlassen. Und unsere Zukunft ist sozial gerecht: Gibt es denn wirklich Firmen, die sich Bremen aussuchen, obwohl sie wissen, daß da dauerhaft ein Viertel der Menschen in Armut lebt?
Die SPD hat sich aber, was soziale Standards angeht, längst an die CDU angepaßt. Alles wandert in die neue Mitte. Auch das rot-grüne Sparpaket von Bundesfinanzminister Eichel steht für den neuen Sozialstaat, der auch bei Langzeitarbeitslosen hemmungslos spart.
In der Mitte ist ein riesiger Haufen, da setze ich mich doch nicht auch noch hin. Ich finde die Sparvorschläge zum Teil richtig. Falsch finde ich aber, daß Arbeitslosen nur eine Altersperspektive in Armut geboten wird. Das ist eine Abkehr von grünen Grundsätzen. Und zum neuen Profil der Grünen in Bremen gehört auch, sich an dem Punkt nicht wegzuducken.
Also kommen weder SPD noch CDU als mögliche Partner in Frage?
Die SPD wird im Laufe dieser Legislaturperiode – gerade wegen der Bremer Vereinbarungen im Sozialbereich – in Bremen schwer unter Druck geraten. Wie anders kann man das schlechte Wahlergebnis für Henning Scherf auf dem Parteitag sonst interpretieren, als daß es riesige Unzufriedenheiten gibt.
Also gibt es noch Hoffnung?
Das muß die SPD selbst entscheiden. Wir werden irgendwann eine Wahlaussage machen – und dabei Inhalte in den Vordergrund stellen und keine Farben.
Und wie stellen Sie das neue kantige Profil auf die Beine?
Wir haben in der Vergangenheit viele gegen uns gehabt – und symbolisch die Haue für Sachen bekommen, die andere nicht geschafft haben. Die politische Szene in Bremen ist versackt in freier Trägerschaft, Resignation, Kinder und Kleingarten. Und wir sollen unbeirrt die hehren Ideen hochhalten. Dann dachten wir jedesmal: Oh, Gott, jetzt hat uns schon wieder jemand verrissen. Und dann haben wir versucht, es allen recht zu machen. Wenn gesagt wurde, wir haben keine Wirtschaftskonzepte, haben wir sie geschrieben. Wenn gesagt wurde, wir haben nicht genug Junge, haben wir sie gesucht. Aber so geht das nicht: Wir müssen einfach mehr Selbstbewußtsein entwickeln und zu unseren Ideen stehen, sonst gehen wir in die Knie.
Fragen: Katja Ubben
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen