: „Das Widerstandspotential ist groß“
■ SPD-Sozialminister Walter Riester über Nervenstärke, Wutwellen und den Sinn der Rente für Jüngere: „Die Bereitschaft, unser Sozialsystem auf die großen, neuen Herausforderungen einzustellen, muß wohl noch geweckt werden“
taz: Herr Riester, Ihnen schlugen in den vergangenen Wochen „Wutwellen“ entgegen, weil Sie es wagten, die Rentensteigerungen zu kappen, und sogar eine Pflichtabgabe einführen wollten. Können Sie überhaupt noch ruhig schlafen?
Walter Riester: Na ja, ich glaube, ich habe sogar stärkere Nerven bekommen durch diese Kampagnen. Und ich bin überzeugt davon, daß die Menschen wissen, wie notwendig Maßnahmen sind, um die Altersvorsorge zukunftssicher zu machen.
Die Wähler sind sauer über die neuen Abgaben auf Nebenjobs und für Scheinselbständige, aber sie wollen auch keine Kappungen bei den Rentenleistungen hinnehmen. Sind die Wähler zu anspruchsvoll?
So würde ich das nicht sagen. Aber wenn man mal unterstellt, das Rentensystem ließe sich in den nächsten 30 Jahren stabilisieren, wenn die Rentner nur für zwei Jahre lediglich eine Rentensteigerung in Höhe der Inflationsrate hinnehmen, dann ist das doch ein akzeptabler Beitrag. Wenn das schon zuviel ist, dann wird es schwer. Die Bereitschaft, unser Sozialsystem auf die großen, neuen Herausforderungen einzustellen, muß wohl noch geweckt werden.
Aber Sie selbst haben doch inzwischen den Ruf, das Sozialsystem nicht wirklich reformieren zu wollen. In der IG Metall galten Sie als Modernisierer, jetzt werden Sie als Mogelminister und Strukturkonservativer bezeichnet. Was ist das für ein Gefühl?
Das war schon eine neue Erfahrung, und es stimmt, daß ich bei der IG Metall eingeordnet war als jemand, der Veränderungen vorantreibt. Bei der Neuregelung der 630-Mark-Jobs bin ich dann als Strukturkonservativer, als Mafiosi bezeichnet worden. Eine solche Kampagne wie die der Interessenverbände gegen die Neuregelung der 630-Mark-Jobs ist aber auch ein Novum.
Bei der Neuregelung der 630-Mark-Jobs und der Scheinselbständigkeit hat man aber doch gesehen, daß die Leute offenbar vor allem eins nicht wollen: noch mehr Beiträge in ein Kollektivsystem, in eine gesetzliche Versicherung zu zahlen. Da gibt es erheblichen Widerstand. Wie empfinden Sie als Sozialdemokrat und als Gewerkschafter dieses Mißtrauen in die Solidarsysteme?
Wenn Sie einen so ungeregelten Bereich haben wie die 630-Mark-Jobs, in denen Mißbrauch die Praxis ist, dann werden Sie immer auf Widerstände stoßen, wenn Sie das regeln wollen. Was mich aber persönlich ärgert, ist die Tatsache, daß ständig Änderungsbedarf in unseren sozialen Systemen beschworen wird, aber das Widerstandspotential in der Praxis groß ist, wie man jetzt auch bei der Diskussion um die Eckpunkte zur Rente sieht.
Bei der Rente sind die Leute besonders mißtrauisch. Sie erklärten kürzlich, niemand hätte Ihrem Vorgänger Norbert Blüm mehr geglaubt, wenn er sagte: Die Rente ist sicher. Jetzt haben Sie aber selbst angekündigt, die Altersversorgung für die nächsten 30 Jahre sichern zu wollen. Warum sollen die jüngeren Beitragszahler Ihnen Glauben schenken?
Weil meine Berechnungen bis zum Jahre 2030 gehen. Alle bisherigen Überlegungen gingen im wesentlichen bis 2015. Nun wissen alle Fachleute, daß ab dem Jahr 2014 die eigentlichen Probleme der demographischen Belastungen erst beginnen und den Gipfel erst im Jahre 2030 erreichen. Wenn man in einem Rentensystem die Leistung und den Beitrag stabilisieren will, muß man dies bis zum Jahre 2030 ausweisen. Und das haben wir getan.
Prognosen werden aber nicht zuverlässiger, wenn man sie in die Zukunft hinein verlängert. Die Lebenserwartung der Bevölkerung und die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sind doch für 30 Jahre gar nicht vorherzusagen.
Die Langfristprognosen sind, was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft, in der Tat mit Unsicherheiten behaftet. Im sicheren Bereich aber liegen die Prognosen beim Altersaufbau der Gesellschaft. Und das ist ein entscheidender Punkt. Es ist unstrittig, daß der Altersaufbau das Rentensystem etwa vom Jahre 2014 an bis zum Jahre 2030 zunehmend stark belastet. Dafür gab es bisher kein sozial ausgewogenes und zukunftssicheres Lösungsangebot.
Die heutigen Rentner erzielen vergleichsweise günstige Renditen im Vergleich zu dem, was sie eingezahlt haben. Bei den jüngeren Beitragszahlern ist das nicht mehr so. Die bekämen mehr heraus, wenn sie die Rentenbeiträge zur Bank bringen würden. Die Jüngeren tragen am Ende doch in jedem Fall die größere Belastung.
Ja. Das sehe ich anders als mein Vorgänger, der hat nur immer gesagt: Im gemachten Bett kann man gut strampeln. Man muß offen sagen, daß in der gesetzlichen Rentenversicherung die Rendite niedriger ist als etwa bei einer privaten Anlage. Trotzdem hat die gesetzliche Rentenversicherung eine hohe Bedeutung. Denn sie deckt Risiken ab, in die auch jeder Jüngere hineinkommen kann. Denken Sie nur an die Erwerbsunfähigkeitsrenten. Aber ich sage ja auch, wir brauchen neben der gesetzlichen Rentenversicherung eine zusätzliche kapitalgedeckte Eigenvorsorge und müssen dies unterstützen.
Interview: Barbara Dribbusch
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