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Der große Bruder fährt immer mit

Neuartige Mikrochips machen die Fahrkarte zum Universalpaß und schaffen den gläsernen Kunden – Datenschützer warnen vor Mißbrauch der Bewegungsprofile  ■   Von Martin Ebner

Berlin (taz) – Wer – außer einem Schwarzfahrer vor der Kontrolle – denkt über Fahrkarten nach? Die Buchhalter der Verkehrsbetriebe. Denn Tickets sind teuer, nicht nur für Kunden: Papier, Druck, Lagerung, das kostet Geld. Früher mußten noch je nach Reiseziel und Wagenklasse eigene Billetts gedruckt werden. Noch 1890 hielt der Berliner Anhalter Bahnhof 47.000 verschiedene Fahrkarten vorrätig. Seither ist Welt des ÖPNV einfacher geworden.

Trotzdem soll bei den Tickets weiter gespart werden. Chipkarten sollen in Zukunft die klassische Fahrkarte aus Papier ersetzen. Das vereinfacht nicht nur Kontrolle und Verkauf. Mit jedem Zahlungsvorgang fallen Daten an, die die Verkehrsunternehmer für sich nutzen wollen. Wer steigt wann und wo ein und wieder aus und wie oft im Monat. Mit den Antworten auf diese Fragen lassen sich Fahrpläne effizienter gestalten. Ziel ist der gläserne Kunde.

Seit 1997 schon gibt es in der chinesischen Metropole Hongkong keine Fahrkarten mehr. Täglich sind dort die über 10 Millionen Passagiere mit einer „Smart-Card“ unterwegs. Mit ihrem Mikrochip arbeitet sie wie ein kleiner Computer. Es reicht, die Karte beim Einsteigen in zehn Zentimeter Entfernung „kontaktlos“ an einem Lesegerät vorbeizuführen. Mit dem Plastikstück kann man nicht nur U- und S-Bahnen nutzen. Sie können auch zum Einkaufen und Telefonieren benutzt werden.

Ähnliche Systeme kommen auch auf Europa zu. Seit Anfang der neunziger Jahre werden sie durch von der Europäischen Union geförderte Projekte geprüft. Es soll ein „Stadtpaß“ entwickelt werden, der gleichzeitig als Fahrkarte, Geldbörse, Eintrittskarte und Identitätsausweis für Behördengänge dient. Aus technischer Sicht stellt die „Karte für alles“ kein Problem mehr dar: Eine einzigen Karte bietet rund dreißig verschiedene Speicherplätze – genug Platz für die notwendigen Daten.

Ganz vorn im EU-Vergleich liegt Paris. Dort ist auch der Bedarf am größten: Neun Millionen Passagieren nutzen pro Tag Europas größten Verkehrsverbund. Die Herstellungs- und Handlingkosten einer Neun-Franc-Fahrkarte liegen bei zweieinhalb Franc. Das veraltete System verursacht jährlich umgerechnet 40 Millionen Mark Wartungskosten.

In diesem Frühjahr wird im Bahnhof Montparnasse von 50.000 Versuchsteilnehmern die Chipkarte „Modex“ getestet; bis Ende 1999 soll sie dann in Paris und anderen französischen Städten eingeführt werden. Die Karte wird in einen kleinen Transponder geschoben – wie eine Kreditkarte in ihre Plastikhülle. Zusammen bilden Karte und Transponder ein kleines Übertragungsgerät, das die Plage der Entwertungsmaschinen und Warteschlangen vor Schaltern beseitigen soll.

Mit „Modex“ wollen die Franzosen vor allem den Passagierfluß beschleunigen: dezentrale Lesegeräte registrieren die Mikrochips in weniger als 120 Millisekunden. Auch das teure Hantieren mit Bargeld soll wegfallen – Überfälle auf Metro-Angestellten lohnen dann nicht mehr. Und ganz nebenbei liefern die Karten genaue Statistiken über das Fahrverhalten der Kunden – für bessere Fahrpläne und weniger Streit bei der Abrechnung zwischen den Verkehrsunternehmen, sagen die Hersteller.

Doch noch ist vieles ungeklärt, was den Einsatz der Karten angeht, warnt Helmut Bäumler, schleswig-holsteinischer Datenschutzbeauftragter: Was wird aus dem „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“, fragt Bäumler, wenn „Daten aus unterschiedlichen Zusammenhängen auf einer Karte gespeichert“ werden und „wir den Komfort bei der Gebührenabbuchung mit Bewegungsprofilen bezahlen“?

Wer an einem Fahrkartenautomaten mit EC-Karte bezahlt, hinterläßt schon heute Datenspuren. Sieben Jahre werden Zeitpunkt und Ort des Ticketkaufs gespeichert. Für Bäumler ein Grund zur Sorge: „Dadurch besteht die Gefahr, daß der datenfreie Raum, in dem sich der Bürger unbeobachtet bewegen kann, immer kleiner wird.“

Bisher konnten die Datenschützer ihre Forderung nach rascher Datenlöschung nicht gegen den „Zentralen Kreditausschuß“ durchsetzen; die Geldinstitute wollen das erhöhte Manipulationsrisiko von elektronischem Geld durch die Überprüfung der Kundenidentität verringern. Anonym kann beim Fahrkartenkauf nur bleiben, wer mit Bargeld bezahlt.

Genaue Bewegungs- und Kundenprofile interessieren nicht nur Firmen (etwa für Werbung oder Kontrolle der Arbeitnehmer), sondern auch Finanzämter, Staatsanwaltschaft und andere Behörden. Die Polizei etwa könnte, wenn es wie in Paris Bahnsteigsperren gibt, vor Demonstrationen unliebsame Personen aus dem Verkehr ziehen. Und je mehr personengebunde Daten auf einen Chip gespeichert sind, desto interessanter werden sie auch für Kriminelle.

Zwar beteuern die Chipkartenhersteller, Unbefugte könnten dank PIN-Codes oder Datenverschlüsselung nichts mit den Karten anfangen – aber wer weiß schon, was zwischen Chipkarte und Leseterminal alles passiert?

Der Hamburger Datenschützer Uwe Schläger fordert daher, daß „der Verbraucher durch entsprechende Lesegeräte oder akustische Signale jederzeit erkennen kann, welche Transaktionen zwischen Chipkarte und Peripherie stattgefunden haben“. Entsprechende Regelungen sehen auch die Entwürfe für das neue Bundesdatenschutzgesetz vor. Denkbar wären zum Beispiel öffentliche Lesegeräte, die anzeigen, welche Daten auf einer Karte gespeichert sind.

Die technologische Entwicklung werden Datenschützer nicht aufhalten. In der Schweiz wird schon an der nächsten Kartengeneration gearbeitet: einem Mobilitätschip für das ganze Land. Ab dem Jahr 2005 sollen er für sämtliche Schweizer Verkehrsmittel gelten und Schalterpersonal überflüssig machen. Diese Chips können dann nicht nur in Karten, sondern auch in Armbanduhren eingebaut werden. Man muß sie nicht einmal mehr in die Nähe eines Lesegeräts bringen – wichtig ist nur, sie bei sich zu tragen. Sie direkt in den Menschen zu implantieren ist wohl noch nicht geplant. Möglich wäre das: Entsprechende Versuche mit Rindvieh weisen bereits gute Erfolge auf.

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