■ Die CDU startet ihre Kampagne gegen die SPD-Rentenpolitik: Freiheit zur Lüge
Die Lüge war schon immer interessanter als die Wahrheit. Und gegenüber der Wahrheit im Vorteil. „Wahrheit und Lüge reisen stets zusammen“, dichtete ein Zeitgenosse Shakespeares, „aber die Lüge kommt stets als erste an.“ Lügen ist eine Kunst. Lügen zu dürfen ein Privileg. Vor allem in der Politik.
Genau deswegen ist die CDU jetzt so empört. „Wortbruch“, „Willkür“ sei die rot-grüne Rentenpolitik, toben die Christdemokraten in einem Brief an sieben Millionen RentnerInnen: „Wenn Sie wissen wollen, wie sich die rot-grüne Rentenlüge für Sie auswirkt, rufen Sie unsere Hotline an!“ Hinter dem anbiedernden Schreiben steckt der blanke Neid auf den politischen Gegner: Die Sozialdemokraten hatten noch eine Rentenlüge frei – und haben diese Freiheit nur genutzt.
„Die Renten steigen wie die Nettoeinkommen“, hatte Kanzler Schröder noch zu Jahresbeginn verkündet. Es kam anders. Die Rentensteigerungen werden für zwei Jahre ausgesetzt. Die Regierung Schröder habe damit „das Vertrauen der Bürger in die Politik aufs Spiel gesetzt“, sorgt sich heuchlerisch die CDU. Dabei wissen es die Christdemokraten aus eigener Erfahrung besser: Im Rentenstreit will niemand die triste Wahrheit hören, jedenfalls nicht heute und nicht aus dem Munde eines Politikers.
Lügen ist erwünscht, solange die Illusion nicht allzu offenkundig der erlebbaren Wirklichkeit widerspricht. Mit diesen Ebenen aus Täuschung und Wahrheit zu spielen, das ist die wahre Rentenkunst. Norbert Blüm hat lange auf diesem Instrumentarium gefidelt: „Die Rendä is sischa!“ war sein Refrain. Irgendwann flüsterte jemand hinter ihm: „Die Rente ist sicher – aber nicht für jeden!“
Dann war die CDU-Rentenlüge verbraucht: Die demographischen Prognosen drückten, die Arbeitslosenzahlen stiegen. Es kam die Heraufsetzung des Rentenzugangsalters, der demographische Faktor, die Blümschen Reformen, die Kanzlerkandidat Schröder im Wahlkampf noch als „unanständig“ bezeichnet hatte. Schröder konnte sich die moralische Entrüstung aus der Opposition heraus damals leisten: Er hatte noch seine Rentenlüge frei. Die WählerInnen haben sie geradezu von ihm erwartet.
Die Rentensteigerungen werden jetzt von Rot-Grün ausgesetzt, die CDU ist moralisch empört. Sozialminister Riester verspricht, das Rentenniveau für die nächsten 30 Jahre zu sichern. Es ist völlig gleichgültig, ob ihm jemand das glaubt.
Barbara Dribbusch
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