piwik no script img

Eine Entscheidung für die Liebe

■ Zum ersten Mal wurde eine Berliner Justizvollzugssekretärin vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs eines Gefangenen freigesprochen

Das Urteil wird den deutschen Gefängnisbürokraten überhaupt nicht schmecken: Das Berliner Landgericht hat gestern erstmals eine Justizvollzugsbedienstete freigesprochen, die ein Liebesverhältnis mit einem Gefangenen hatte. Die Entscheidung ist von großer Bedeutung, weil sie sich auf eine bisher noch kaum bekannte Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) stützt.

Die 39jährige Berliner Justizvollzugssekretärin Monika B.* hatte im Männerknast Tegel bisweilen Aufsicht über mehr als 50 Insassen geführt. Im Sommer 1996 verliebte sie sich in den auf ihrer Station wegen Betruges einsitzenden Klaus S. Bei Gesprächen waren sie sich nähergekommen. Später lud sie den ehemaligen Kaufmann während seiner Freigänge zu sich nach Hause ein. Dort, wohlgemerkt nicht im Knast, kam es zu Intimitäten. Zwei Tage bevor Klaus S. in den offenen Vollzug verlegt wurde, flog die Liaison auf. Ein Beamter hatte das Paar beim Einkaufen gesehen.

Seit Oktober 1996 ist Monika B. vom Dienst suspendiert. Im Janaur 1999 wurde sie in erster Instanz wegen sexuellen Mißbrauchs gegen Androhung einer Geldstrafe von 3.000 Mark verwarnt. Der Staatsanwaltschaft war dies aber nicht genug. Daß bei der gestrigen Berufsungsverhandlung ein Freispruch herauskam, ist auf den Verteidiger Michael Nitschke zurückzuführen, der die 73. Strafkammer mit dem Beschluß des BGH konfrontierte.

Bislang hat die Justiz in vergleichbaren Fällen immer hart durchgegriffen. Auch wenn es sich um eine einvernehmliche Liebesbeziehung handelte, wurde diese als sexueller Mißbrauch von Gefangenen bestraft. Als sexueller Mißbrauch wurde auch der Mißbrauch der Amtsstellung gewertet. Im Februar 1999 hat der BGH dem einen Riegel vorgeschoben. Er hob das Urteil gegen eine Justizvollzugsbedienstete auf, die in Halle wegen sexuellen Mißbrauchs zu einer einjährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden war. Die Begründung: Beamtin und Gefangner hatten ein echtes Liebesverhältnis.

Sichtlich erleichert sagte die Angeklagte gestern: „Ich bin froh, jetzt endlich wieder der ein normales Leben führen zu können“. Die Zeit, nachdem das Verhältnis öffentlich war, war für sie nicht leicht. Im Knast herrschte eine bigotte Doppelmoral. „Viele Beamte stellen den attraktiven Kolleginnen hinterher, aber wenn eine von denen ein Verhältnis zu einem Gefangenen anfängt, werden die Herren plötzlich prüde“, weiß Anwalt Nitschke. „Du Knackifotze, du Hure“, habe sich Monika B. von den eigenen Kollegen anhören müssen. Einer bespuckte sie sogar. Vor Gericht war von all dem gestern nicht die Rede. Statt dessen sang ein leitender Beamter aus Tegel ein Loblied auf das weibliche Personal: „Frauen haben eine stabilsierende Wirkung. Selbst der abgebrühteste Inhaftierte bemüht sich in Anwesenheit einer Frau um ein normgerechtes Verhalten.“

Die im Knast begonnene Beziehung zwischen Monika B. und Klaus S. hat der Realität in Freiheit nicht standgehalten. Sie ging nach seiner Entlassung im Mai 1997 in die Brüche. Inzwischen ist S. mit einer anderen Frau verheiratet, folgte seiner Zeugenladung vor Gericht gestern nicht. Die vorsichtige Frage der Richterin, ob sie sich aus heutiger Sicht von dem Gefangenen ausgenutzt fühle, beantwortete die Angeklagte mit einem klaren „Nein“. Auch beruflich habe sie sich nicht ausnutzen lassen, sondern Beziehung und Arbeit immer strikt getrennt gehalten und Klaus S. auch nie bevorteilt: „Trotz allem habe ich meinen Job verdammt ernst genommen.“ Ob und wann Monika B. ihre Arbeit wieder aufnehmen wird, hängt nun vom Ausgang des Diziplinarverfahrens ab. Eine Rückkehr hinter die Gitter von Tegel kommt für sie aber kaum in Frage. Plutonia Plarre

*Name gändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen