: Die Geburt des Klangs aus dem Kampfsport
■ Vor drei Jahren besann sich Masakazu Nishimine, Percussionlehrer an der HfK, auf seine Roots. Im Überseemuseum gab er nun sein erstes faszinierendes Kodo-Konzert
Gleich zweimal mußte Masakazu Nishimine nach seinen Wurzeln graben; schließlich haben auch Bäume mehrere Roots.
Als er vor 20 Jahren als Klarinettenstudent nach Bremen kam, wollte er jene fremde Kultur kennenlernen, die „seine“ Musik hervorbrachte – Beethoven, Brahms... Und tatsächlich fühlte sich Bachs Weihnachtsoratorium als rituelle Musik, zur Adventszeit, im kerzendurchflammten, hallintensiven Kirchenschiff, anders an denn als Ansammlung von Arien, Fugen, Rezitativen. Mit 26 Jahren schulte Nishimine um. Testweise, auf Percussion. Und nur ein halbes Jahr später zählte er Takte, zählte, zählte und paukte zwischendurch auch mal im Orchestergraben des Goetheplatztheaters bei der „Zauberflöte“. So was nennt man gemeinhin Naturtalent.
Obwohl er ziemlich regelmäßig für die Bremer Philharmoniker zuschlug, erhielt er keine feste Stelle. Und zwar vielleicht deshalb, weil Deutsche in deutschen Orchestern vorgezogen werden, mutmaßt Nishimine. Dafür bekam er einen Lehrauftrag an der Musikhochschule der HfK. Das bedeutet ein Leben mit der permanenten Option, gekündigt zu werden, jedes Jahr aufs Neue. Ein Tatbestand, der schon im allgemeinen wenig erfreulich ist, im besonderen aber, wenn am Ringfinger ein Goldreif steckt – und im Herzen eine japanische Prägung. Es nagt an ihm, dieses Ausbleiben von sozialer Anerkennung in Form eines klaren, sicheren Status. Einer der Gründe, warum Nishimine kürzlich sein eigenes Ensemble „Masa-Daiko“ gründete. „Das kann mir niemand nehmen.“ Ein Stück Autonomie in einer Ellbogengesellschaft der Postenrangeleien.
Das Buddeln nach der zweiten Wurzel begann er vor sechs Jahren. Nach Iannis Xennakis beeindruckte Nishimine kein zeitgenössischer Komponist mehr so recht – „alles irgendwie verkopft und ohne rechtes Anliegen“ – bis er irgendwo in Holland auf das Stück „Marimba-Spirituel“ von Minoru Miki stieß. Es ist für Marimbaphon – und drei japanische Trommeln. Und irgendwie paßte plötzlich die private Lebenslinie zur großen allgemeinen. Denn nicht nur drinnen in Nishimine erlebte die traditionelle, japanische Trommelmusik eine Art Wiedergeburt, sondern auch draußen in der Welt.
Das begann 1971. Damals gründete Tagayasu Den auf der Insel Sado in der Nähe Okinawas eine Art Kommune, die sich jener Kodo genannten Vermischung von Musik, Sport und Meditation verschrieb. Trommeln ist hier nicht nur ein Vergnügen für Kollege Trommelfell im Zuhörerohr, sondern eine komplexe Maßnahme der Persönlichkeitsbildung des Musizierenden. Die Trommel wird einer sadomasochistischen Tortur unterzogen, irgendwo zwischen Karate und Ballett. Töne lassen sich ökonomischer erzeugen, aber nicht faszinierender. Arme schnellen wie Pfeile aus gespannten Sehnen, Augen stechen gerade in die Ferne. Die Mimik ist befreit von Individualität. Es geht um Härte und Unerbittlichkeit, wie im Metal; und um Versenkung, wie im TripHop; und vor allem um punktgenaue Konzentration, wie ? .... eben nicht für alles kann es Analogien geben. Komplexität wird ersetzt durch Intensität, zum Punkt kommen statt verworrene Kontrapunktik. Da können die Trommler schon mal drei Minuten lang nichts weiter tun als den Grundschlag klöppeln. Und nicht selten geht es wie im richtigen Leben um das Anstauen und Freilassen von Energien, den ewigen Wechsel von Ebbe und Flut, Konzentration und Aggression, Schlendern und Sprint.
Apropos Laufen. 1975 erweckte Tagayasu Dens Inseltrupp „Ondekosa“ Aufmerksamkeit; erstens durch ihre knackigen Lendenschürze, zweitens durch ihre Teilnahme am Boston-Marathon, just vor ihrem Konzert. Irgendwann übernahm eine Frau die Leitung der Kampftrommler, Tabakubo Yazuko, eine 400m-Läuferin. Geschlagen wird zwar immer noch mit den Armen und nicht mit den Füßen, aber für Bodenhaftung sorgt eine breitbeinige Hockstellung. Und die ist schweißtreibend.
Viele Jahrhunderte hindurch hatte Kodo eine strenge rituelle Verankerung in Religion und Militär, zwei Bereiche, die nicht gegensätzlicher sein könnten und sich doch treffen in Ergebenheit und Askese. Tausende von Kodovereinen auf dem Land bewahrten die Tradition auf Volksfesten, Erntedankfesten, Sommerfesten – nicht immer auf hohem Niveau. Professionalität und Anerkennung rückeroberten es erst vor gut zwanzig Jahren. „Stomp“ beruft sich auf Kodo-Einflüsse. Und vor zwei Jahren füllte „Wadaiko Ichiro“ in Bremen das Pier 2.
Zusammen mit sechs Schülern, meist ehemalige Percussionstudenten, trat nun Nishimine erstmals im Überseemuseum auf. Und selten sah die „dacapo“-Reihe so viele Zuhörerschauer. Und begeistert waren sie, vielleicht wie Nishimine beim ersten Weihnachtsoratorium in einer Kirche. Die Gruppe „Masa-Daiko“ zeigte dabei keine Musikrichtung, die in einer abgeschotteten Enklave festgezurrt ist. Neben Traditionels waren auch Fusionen mit Jazzigem und mit Minimal Music zu hören. bk
Mit neuen SchülerInnen aller Altersklassen mit oder ohne musikalischer Vorbildung möchte Nishimine demnächst eine Wall of Kodo-Sound über Bremen hinwegwälzen. Zusammen mit Düsseldorf in Deutschland relativ einzigartig.
Infos zu Nishimines Kodo-Kursen unter Tel.: 6361433
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