: Tempelhofer Grüne treten über
■ Nachdem bereits im März der Fraktionschef die Grünen in Richtung „Demokratische Linke“ verlassen hat, folgen nun sein Nachfolger sowie die bündnisgrüne Alterspräsidentin
Raus aus den Grünen, rein in die „Demokratische Linke“ (DL). Was die ehemalige baupolitische Sprecherin der bündnisgrünen Abgeordnetenhausfraktion, Ida Schillen, vorexerziert hat, findet nun auch im Bezirk Tempelhof Zuspruch. Nachdem bereits im März der langjährige Fraktionsvorsitzende Herbert Mücke die Bündnisgrünen in Richtung DL verlassen hat, haben nun der amtierende grüne Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kuhn sowie die bündnisgrüne Alterspräsidentin der Bezirksverordnetenversammlung, Edith Zander, nachgezogen.
Der 45jährige Kuhn, seit Anfang der achtziger Jahre bei der Alternativen Liste aktiv, begründet seinen Austritt bei den Bündnisgrünen sowohl mit der Zustimmung zu den Bombenangriffen der Nato gegen Jugoslawien als auch mit dem „yuppie-grünen Positionspapier“ von Cem Özdemir, Matthias Berninger und 40 weiteren Jung-Grünen: „Das hat mir den letzten Anstoß gegeben zu sagen, daß es jetzt reicht.“
Ausschlaggebend für den Aderlaß der sechs Abgeordneten starken grünen Fraktion in Tempelhof waren auch innerparteiliche Querelen im Kreisverband. Neben politischen Intrigen, meint Ex-Fraktionschef Mücke, hätte auch ein konservativer Ruck nach rechts stattgefunden.
So hat ein Großtteil der bezirklichen Bündnisgrünen nicht nur den Krieg gegen Jugoslawien gebilligt, sondern auch eine Rüge gegen die Kreuzberger Grünen formuliert, da deren Anti-Kriegsaktionen parteischädigend gewesen seien. Vorläufiger Höhepunkt des bezirklichen Politikwechsels war der Umstand, daß ein Großteil der jetzigen BVV-Abgeordneten nicht mehr nominiert worden war. Für die 74jährige Edith Zander, dereinst Gründungsmitglied der AL, war dies ausschlaggebend für ihren Austritt: „Tempelhof ist mir zu realo geworden“, sagt sie, „die haben die ganzen Linken rausgedrängt.“
Ob die Demokratische Linke eine tatsächliche Alternative für ihn ist, will Wolfgang Kuhn noch nicht abschließend beurteilen. Der Schritt, den er nach 18 Jahren Basisarbeit mache, könne der falsche sein, „aber im Moment der einzig richtige, den ich in der Lage bin zu gehen“, heißt es in seinem Austrittsschreiben an den bündnisgrünen Landesverband vom vergangenen Freitag.
Mit den drei Tempelhofern ist die Demokratische Linke, die sich bislang aus enttäuschten PDS- und SPD-Mitgliedern in Friedrichshain zusammensetzte, bis zu den Wahlen im Oktober nun auch in einem Westbezirk vertreten. Zu der neuen Partei, die laut Herbert Mücke eine Lücke zwischen Grünen und PDS schließen soll, sind inzwischen auch das AL-Altmitglied Ilona Hepp sowie die Kunsthistorikern Simone Hain gestoßen.
Der Sprecher der bündnisgrünen Abgeordnetenhausfraktion, Matthias Tang, räumte gestern ein, daß es sich im Vergleich zu einem kleinen Kreisverband doch um einen relativ großen Aderlaß handele. Weil es eine entsprechende Abwanderung etwa in Kreuzberg aber nicht gegeben habe, so Tang, müßten vor allem kommunalpolitische Gründe entscheidend gewesen sein. Tang appellierte an die Parteilinken, sich mit ihren Positionen auch weiterhin innerhalb der Partei zu Wort zu melden. Uwe Rada
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