: „Wir können keine Bildungsideen vorgeben“
■ Die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Gabriele Behler (SPD) will, daß Schulen und Hochschulen ihre Schwerpunkte selbst setzen. Der Staat soll allerdings die Qualität sichern, ein „Optimum an Output“ garantieren – und den finanziellen Rahmen abstecken, auch wenn er immer enger wird
taz: Ärgert es Sie eigentlich, daß die SPD so viele kompetente Frauen hat und sich doch nicht traut, sie an die Spitze zu stellen?
Die Zeit, um solchen Ärger auszuleben, habe ich sowieso nicht.
Es gab einmal Anzeichen, daß Sie Ministerpräsident Rau ablösen könnten – anstelle von Herrn Clement. Waren Sie damals nicht konsequent genug?
Das ist eine absurde Diskussion. Es gab überhaupt keinen Hinweis darauf, sondern nur einen Spiegel-Artikel, in dem das unterstellt wurde.
Herr Clement hat es Ihnen jedenfalls nicht nachgetragen. Und er hat Sie stillgestellt, indem er Sie mit Arbeit und Verantwortung zugeschüttet hat – wie jeder patriarchale Hausvorstand.
Es geht nicht um patriarchale Hausvorstände, sondern um die Struktur eines Kabinetts. Im Zuge der Kabinettsreform haben alle Beteiligten größere Zuständigkeitsbereiche erhalten. Mein Ressort ist nicht das einzige. Das hat mit einer politischen Vorstellung von Modernisierung des öffentlichen Sektors zu tun.
Als Doppelministerin haben Sie einen 30-Milliarden-Mark-Etat – mehr als das Doppelte dessen, was Frau Simonis als Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein hat.
Die Größe meines Etats ist auch ein Ausweis für die Stärke des Landes Nordrhein-Westfalen. Allerdings ist der größte Teil durch Ausgaben für Personal gebunden.
Sie haben einen Mega-Etat – durchschlagende Reformvorschläge aber hat man noch nicht vernommen.
An zündenden Reformideen hat es in den vergangenen Jahren nicht gemangelt. Und wir sind die Reform in hohem Tempo angegangen. Entscheidend ist aber die Umsetzung. Bei einem derart großen System bedeutet das immer harte Arbeit und Mühsal der Ebene, wie Brecht es genannt hat.
Woran ist Ihr hohes Tempo für die Bürger erkennbar?
Sie müßten vielleicht mal mit einzelnen Leuten in den nordrhein-westfälischen Schulen sprechen. Da hat sich in den letzten drei Jahren viel verändert. Zuerst haben wir Modellversuche an einzelnen Standorten organisiert. Jetzt gehen wir in die Fläche mit dem Programm „Stärkung der Schulen“. Die einzelnen Schulen sollen selbständiger werden und Verantwortung tragen. Dazu gehört auch, daß die Direktorenstellen ab diesem Sommer nur noch auf Zeit bzw. auf Probe besetzt werden. Der Veränderungsprozeß verlangt von den Schulen und den Beschäftigten enorm viel und braucht Zeit.
Ihre zentrale Reformidee lautet also „Privatisierung und mehr Verantwortung“. Was bedeutet das konkret?
Nicht Privatisierung lautet das zentrale Modernisierungprojekt, sondern es geht um eine andere Steuerung des öffentlichen Sektors. In Deutschland hat die Bildungspolitik bisher immer normative Vorgaben gemacht – also Gesetze und Richtlinien. Wir haben zuwenig auf Ergebnisse des Bildungsprozesses geachtet. Wir stellen jetzt fest, daß diese normative Steuerung an die Grenzen gekommen ist, was die Qualität angeht.
Wie wollen Sie die Qualität steigern?
Wir müssen die einzelnen Einrichtungen fit machen für den Wettbewerb. Das erreiche ich nur, wenn sie selbst die Verantwortung haben für die Ergebnisse ihrer Lehre und Forschung. Dazu brauche ich durchgreifende Änderungen im Dienstrecht für die Professoren. Ich muß ein Anreizsystem entwickeln, damit auch tatsächlich diejenigen profitieren und belohnt werden, die mehr leisten als andere.
Wie sieht das praktisch aus?
Das funktioniert einmal über ein neues System der Mittelverteilung. Und dann werden die einzelnen Professoren, neben einem einheitlichen Grundgehalt, nach Leistung bezahlt. Ich brauche auch ein Sanktionssystem für diejenigen, die schlechtere Leistungen bringen. Als eine weitere Maßnahme zur Qualitätssteigerung, was die Betreuung und Beratung von Studenten angeht, habe ich jetzt eine neue Rechtsverordnung erlassen, nach welcher die Professoren vier Tage pro Woche an der Uni präsent sein sollen.
Welche Bildungsidee steckt hinter diesen Reformen?
Wir können keine zentralen Bildungsideen mehr vorgeben. Wir müssen vielmehr unterschiedliche Vorstellungen von Bildung ermöglichen und dafür institutionelle Räume zur Verfügung stellen. Ich habe natürlich auch noch nostalgische Träume von Bildung, Schule und Hochschule, aber das hilft uns nicht ins nächste Jahrtausend.
Heißt das: Bildungsreform ohne ein bildungspolitisches Leitbild?
Grundlegend ist es, die enge Ausrichtung auf Fachdisziplinen zu überwinden. Das ist nicht nostalgisch, sondern eine aktuelle Weiterführung der Diskussionen aus den 70er, auch den 20er Jahren. Es geht um eine interdisziplinäre Antwort auf die alte und immer wieder neue Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaft – etwa bei Themen wie der Gentechnik. Ich brauche aber auch Kriterien für die Qualität der Ergebnisse. Die Frage nach dem Optimum an Output ist die Frage nach gesellschaftlicher Qualität, und gesellschaftliche Qualität umfaßt die Frage nach dem Optimum an Output.
Was wollen Sie mit dem Pakt erreichen, den Sie mit den Hochschulen geschlossen haben?
Die Hochschulen sollen ihre Stukturplanung künftig selbst vornehmen. Sie entwickeln im Blick auf Nachbarhochschulen Schwerpunkte für ihre künftige Arbeit: Welche Fachbereiche wollen sie halten, welche Studiengänge wollen sie unter Umständen schließen, welches Profil wollen sie sich in der Region geben? Wegen der unterschiedlichen Interessenlagen wird ein Expertenrat von außen hinzugezogen. Im Gegenzug erhalten die Hochschulen von mir finanzielle Sicherheiten, denn der Prozeß muß für sie planbar sein. Mit dem neuen Hochschulgesetz, das im Herbst verabschiedet wird, werden sie einen Globalhaushalt erhalten, der auf einen Zuschuß des Landes setzen kann. Damit sind die Hochschulen wettbewerbsfähig und autonom.
Wir haben die Finanzsicherheit dieses Hochschulpaktes so verstanden, daß sie eine Garantie für einen sinkenden Etat ist.
Wie kommen Sie denn auf diese Idee?
Alle Beispiele der Hochschulverträge, die es gibt, sehen massive Kürzungen vor. Bei Ihnen sind es 2.000 Stellen.
Sie vergessen die Gegenrechnung. Die Planungssicherheit umfaßt ja mehr als das Kürzen von 2.000 Stellen. Die Hochschulen sind künftig von jeder globalen Minderausgabe ausgenommen – das machte bisher pro Jahr etwa 40 Millionen Mark aus. Es gibt auch keine Stellenbesetzungssperre mehr, das macht den Gegenwert von etwa 720 Stellen aus. Und es gibt für die Strukturplanung einen Innovationsfonds von 100 Millionen Mark. Wenn ich das zusammenrechne, dann sinkt der Etat nicht, sondern er steigt. Der Bildungsetat in Nordrhein-Westfalen ist in diesem und in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, im Gegensatz etwa zum Haushalt des Bundes unter der CDU/FDP-Regierung. Er wird in Nordrhein-Westfalen auch im nächsten Jahr steigen.
Die Stellenzahl insgesamt sinkt aber?
Hochschulentwicklung kann man heutzutage nicht mehr über Stellenpläne steuern. Da der Trend zu Zuschußhaushalten geht, brauchen wir flexibel einsetzbare Mittel – die erhalten die Hochschulen im Gegenzug zu den 2.000 Stellen. Das Geld wird nach bestimmten Kriterien vergeben. Wir sind in einem schnellen Entwicklungsprozeß, und an vielen Stellen reichen die Sachmittel nicht aus. Wenn man dann eine Ausstattung braucht, muß es auch Mittel dafür geben. So kann es sein, daß eine Hochschule weniger Geld für die eingesparten 20 oder 50 Stellen bekommt, eine andere aber mehr.
Technokratische Strukturbeschlüsse, wie Sie sie ansprechen, wirken immer gleich: Es fallen die zeitlich begrenzten Stellen weg, das sind die wissenschaftlichen Nachwuchsstellen.
Das ist nicht zwingend. In Nordrhein-Westfalen wird ein Drittel der Hochschullehrer in den nächsten Jahren pensioniert. Wir müssen jetzt die freiwerdenden Stellen nutzen für neue Ausrichtungen und Umwidmungen. Die Hochschulen, die das auf Kosten des Nachwuchses machen, bestrafen sich selbst.
In der Logik des öffentlichen Dienstes geht das überhaupt nicht anders. Auch wenn Sie einen Studiengang zumachen – der Professor hat eine unkündbare Stelle. Der wissenschaftliche Mitarbeiter aber fliegt spätestens dann raus, wenn seine Stelle ausläuft, also nach maximal drei Jahren.
Um genau das zu vermeiden, veranschlagen wir für den Stellenabbau einen Zeitraum von zehn Jahren. Damit kommen wir aus diesem Mechanismus heraus. Da kann es nicht so sein, daß die Professur des Lehrstuhlinhabers erhalten bleibt und die Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter gekürzt werden.
Das heißt, Sie wollen auch ganze Fachbereiche schließen?
Die Entscheidung sollen die Universitäten selbst treffen. Aber grundsätzlich gilt: Das kann ein ganzer Fachbereich sein, das kann auch innerhalb eines Fachbereiches der zweite oder dritte Lehrstuhl sein. Wir haben doch Fachbereiche mit mehreren Lehrstühlen, die unterausgelastet sind. Viel wichtiger ist es, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu stärken. Dafür brauchen wir ein neues Dienstrecht mit Zeitprofessuren. Junge Wissenschaftler müssen rauskommen aus der Abhängigkeit vom Ordinarius, die nicht mehr akzeptabel ist.
Ihr Leitbild ist also: Ich will keine Professoren-Uni mehr mit Sechzigjährigen, sondern eine Nachwuchs-Uni?
Ich finde es absurd, daß wir hochqualifizierte junge Menschen haben, die nach einem 14semestrigen Diplomstudiengang lediglich dem Professor zuarbeiten sollen. Die dann noch das Geld dafür mitbringen müssen, damit sie sich weiterqualifizieren können. Und nach der langwierigen Habilitation sind sie in einer Situation, wo man keinem Menschen mehr sagen kann: Du bekommst jetzt keinen Job. Wir brauchen kürzere Studiengänge. Auch die Möglichkeit, ohne Habilitationsverfahren eine Professur auf Zeit zu erlangen. Dann kann der Nachwuchs selbständig wissenschaftlich arbeiten. Ich weiß, daß Bundesbildungsministerin Bulmahn dasselbe will. Wir haben verabredet, daß wir das anpacken.
Sie hatten den Bildungsminister von Tony Blair zu Gast. Der hat Studiengebühren eingeführt. Er schließt Schulen, wenn sie zu schlecht sind ...
... und eröffnet sie wieder unter neuer Leitung. Das interessiert mich. Ich kann das aber bei unserer rechtlichen Lage nicht machen. Ich will ja die Leute nicht raussetzen. Aber wenigstens mal positiv und negativ sanktionieren zu können – das wünsche ich mir. Unsere Lehrer werden allerdings besser ausgebildet und bezahlt, sie haben kleinere Klassen und müssen weniger unterrichten. Die englischen Lehrerinnen und Lehrer blicken voller Neid auf Deutschland. Aber wir arbeiten auch eng mit den Niederlanden zusammen. Wir kommen nicht weiter, wenn wir jeweils nur im nationalen Rahmen nach Antworten suchen.
Interview: Christian Füller, Isabelle Siemes
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