: Der innere Kirk
„Borgs assimilieren alles für das Kollektiv!“ In Kiel wurde diskutiert, ob „Star Trek“ wie wirkliches Leben funktioniert ■ Von Jenni Zylka
Um herauszufinden, ob „Star Trek“-Fans im richtigen Leben spießige Bankangestellte sind, die nur abends mit Klingonenmaske und Blutwein die Sau – oder vielmehr das kardassianische Messerbiest – rauslassen, konnte man am Wochenende an der Tagung „Star Trek und die Wissenschaften“ teilnehmen. Sie fand an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel statt und sollte die Ergebnisse einer „AG zur Erforschung von Allgemeinkultur am Beispiel von Star Trek“ präsentieren. Der nordisch-schneidige Taxifahrer fragte zwar mitleidig, ob man „sich damit wirklich den schönen Sonntag versauen“ wolle, und behauptete, die Serie immer schon albern gefunden zu haben „wegen dem mit die spitze Öhrchen“. Aber Titel wie „Ich bin Du: Das Borg-Kollektiv als Parabel der Massengesellschaft“ oder „Von der Außenpolitik der Föderation und interplanetarischen Tempolimits“ hätten gewiß auch ihn überzeugt.
In dem kleinen, heißen Seminarraum sitzen drei Dutzend Menschen zwischen 20 und 40 und nesteln an ihren Tagungsausweis-Pappkärtchen. Wie Bankangestellte wirken sie nicht, zwei mittelalterliche Damen sehen allerdings aus wie Hausmuttis (oder Hauswirtschaftslehrerinnen?). Der Verdacht bestärkt sich, als die ReferentInnen des Einführungsvortrags sich vorstellen und nur die Muttis und ich klatschen. Die anderen outen sich als StudentInnen und pochen fachmännisch auf das Pult.
Schon ist man mittendrin in einer soziologischen Analyse der Charaktere und Ideologien in „Star Trek – The Next Generation“. Die Berliner Vortragende sieht in der Konstellation der Personen und ihren Beziehungen zueinander Analogien zu einer Familie: Captain „Schöngeist“ Picard übernimmt demnach die Vaterrolle, die Ärztin Beverly Crusher verkörpert die Mutter, Will „Hauruck“ Ryker spielt den Stammhalter, und Worf ist so eine Art Adoptivsohn. Wir erfahren Erbauliches über die verschiedenen Funktionen, die die Charaktere innehaben können – von „handlungstragendem Ensemble“ bis zu Randfiguren, doch dann äußern die ReferentInnen leise, aber vehemente Kritik an dem angeblich von Rassismus und tradierten Geschlechterrollen freien Serienkonzept: „Die Frauen, die in der Unterzahl sind, übernehmen als Ärztin und Schiffscounsellor [so eine Art Psychologin mit extremer Gefühlsrezeption] traditionell weibliche, karitativ-heilende, helfende Aufgaben.“ Und damit unterscheide sich die Next-Generation-Staffel kaum vom „Star Trek“-Original (mit Spitzöhrchen), in dem, wir erinnern uns, sexy Frauen meist als schmückendes Beiwerk entweder ängstlich gucken und/oder von Captain Kirk erobert werden durften.
Beredt und freundlich, wie StudentInnen nun einmal sind, wird anschließend versucht, die zart-kritische Note der Behauptungen und Beobachtungen des Einführungbeitrags zu zerpflücken. Denn die ZuhörerInnen und zukünftigen ReferentInnen scheinen allesamt Trekkies zu sein, von einem Kaliber, das sich zwar gerne und leidenschaftlich über Inhalte seiner Lieblingsserie streitet, nicht aber über die Funktion der erfolgreichsten amerikanischen Science-fiction-Serie an sich diskutieren möchte, also über eine Analyse des filmischen Textes nicht hinausgehen will. Mit anderen Worten: Man setzt sich ausgiebig mit der Einschätzung von Sport und Fitneß in „Star Trek“ auseinander, zitiert die imaginären Sportarten „Anbo-Jytso“ und „Springball“. Doch es findet keine Einschätzung innerhalb der realen Welt statt, ohne Warp und Holo-Deck. Eine trockene, bestimmt recht desillusionierende Formanalyse, wie man sie mit allen Fernsehformaten machen kann, möchte einfach keiner hören. Da ist das Fan-Tum vor. Sogar bei kritischen Medienwissenschaftlern.
Das ist nur begrenzt schade. Schließlich macht es viel mehr Spaß, darüber nachzudenken, warum böse Aliens „asymmetrische Masken“ tragen und warum der besserwisserische Data die beliebteste Figur bei den Fans ist, als profane Gründe für den Erfolg des nach hinlänglich bekanntem US-amerikanischen Serienstrickmuster gemachten Werberahmenprogramms zu finden.
Kritisches Fan-Tum ist ein Widerspruch in sich. Wie ernüchternd wäre es am Ende, wenn man feststellen müßte, daß die Weltraum-Saga „Babylon 5“ im Vergleich zu der Beam-me-up-Serie schon nach kurzer Zeit viel komplexer und gedanklich revolutionärer war? Wenn man sich über die ewigen Happy-Endings mit der ewigen W. A. S. P. bzw. M. M. F. M. (Multicoloured Male Federation Member)-Superiorität in der ewig gleichen Höhle aufregen müßte? Wenn man die moralinsaure Feigheit der Macher erkennen müßte, die auch im 30. Jahr nach der ersten Ausstrahlung trotz aller politischen Entwicklungen Sisko, dem schwarzen Deep-Space-9-Chef, natürlich nur eine schwarze Partnerin für seine langweilige Heterobeziehung ins Drehbuch schreiben? Oder wenn man zugeben müßte, daß man, obwohl man das alles weiß, obwohl Kindesauge im Rückblick vieles verklärt und den Macho Kirk mit seinen hölzernen Wirtshausattitüden in den Himmel hebt, trotzdem immer wieder zuschauen und genießen kann?
Ein bißchen aus dem rosigen, sternenfunkelnden Fan-Fenster lehnt sich auch ein Empiriker, der am zweiten, mit ca. 80 Leuten (und lustigerweise jeder Menge ReferentInneneltern) etwas besser besuchten Tag einen Vortrag zum Thema „Interkulturelle Kooperation und Management bei Star Trek“ hält. Er erklärt eine (in Managementkreisen verbreitete?) Meßmethode für Kulturen, nach der man unter den Kriterien „Machtdistanz“, „Kollektivismus“ und „Maskulinität“ jede Gesellschaft beurteilen kann – und tut das natürlich mit beliebten Alien-Gruppen. Die Borg, so wird referiert, haben eine klare 8 bis 9 auf der Skala für Kollektivismus, der Grund ist offensichtlich: „Wir assimilieren alles für das Kollektiv!“
Die Klingonen dagegen, jene blutweintrinkenden, ständig stirnrunzelnden Krieger, haben einen hohen Wert an Maskulinität, was bedeutet, daß die klingonische Gesellschaft (der Fachmann, so auch der Referent, nennt es klingonisches Imperium) sich stark durch Geschlechterrollen definiert. Darum stünden die Borg symbolisch für die Asiaten, vielmehr für die Angst der US-Amerikaner in den 90ern, von Japan „assimiliert“ zu werden, als große Konzerne von asiatischen Geschäftsleuten aufgekauft und US-Marken kopiert wurden. Die Klingonen stehen dagegen natürlich für die Russen, das weiß ja sogar jeder nicht echte „Star Trek“-Fan. Und wenn man den kleinen Flügelstreit ignoriert, der danach zwischen einigen Fans zum Thema Affinität der Klingonen und Russen vom Zaun gebrochen wird, dann hat man damit einen weiteren positiven Aspekt einer Tagung zu einem solch populärwissenschaftlichen Thema entdeckt: Man kann jede Menge, auch zum Beispiel abstrakte (manche sagen gar langweilige!) Theorien wie Management anhand von „Star Trek“ erklären, weil die Raumschiffgeschichte so schön durchschaubar und einfach die menschliche Gesellschaft widerspiegelt.
In der Pause wird Kuchen gegessen und die Erkennungsmelodie gepfiffen, hauptsächlich diskutiert man natürlich weiter. Wobei sich immer wieder ungerechter-, aber auch sehr realistischerweise zeigt, daß durch unterschiedlich hohen Wissensstand und Fan-Leidenschaft das Diskussionsniveau stark schwankt. Man braucht nur eine Folge nicht zu kennen und hat schon verloren. Danach versuchen sich zwei Physiker an „Star Trek“ und zeigen die offensichtlichen Plausibilitätsmängel der Technik in der Serie anhand eines wissenschaftlichen Erklärungsmodells auf. Zugegebenermaßen zwei „Star Trek“ gewogene, sehr liebevolle und tolerante Physiker, die vermutlich bei jedem anderen Konzept mit so himmelschreienden Fehlern lachend hintenübergekippt wären. Die alte Geschichte, die man uns KonsumentInnen scheinbar einfach nicht beibiegen kann, zum Beispiel: Im Weltraum gibt es keine Explosionen mit Feuer und Bum! Ein für allemal!
Ein Politikwissenschaftler verspricht, Licht in die dunklen Wege der Föderationsaußenpolitik zu bringen, verfranst sich aber in den Definitionen seines Gliederungsmodelles. Noch einmal werden Frauenrollen im Laufe der Originalserie und ihrer Ableger und Nachfolger eruiert, diesmal aber etwas halbherzig, wenn nicht gar mit einer liebevollen Koketterie. Ein ganzer Block widmet sich „Star Trek“ und Musik, Literatur und den schönen Künsten, ein paar Vorlesungen handeln von Kommunikation, dem Begriff des Jahrhunderts für uns im 20. und „Star Trek“ im 24. Jahrhundert.
Zufrieden sitzen zwei der Veranstalter, Studenten und große Fans, versteht sich, zwischen den Tagungsgästen. Unwahrscheinlich, daß sie in ihrer akademischen Laufbahn noch mal eine Tagung organisieren werden, die sich so lustvoll und spielerisch mit der Suche nach der Wahrheit beschäftigt. Denn die ist ja bekanntlich irgendwo da draußen ...
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