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Straßenschlacht in Teheran

Protestierende zünden ein Polizeiauto an und bewerfen Militärs mit Steinen. Der Sitzstreik an der Uni geht trotz Verbot weiter. Auch Professoren machen mit  ■   Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – Die Proteste in Teheran werden immer heftiger. Gestern lieferten sich etwa 1.000 Demonstranten im Zentrum der iranischen Hauptstadt eine regelrechte Straßenschlacht mit der Polizei. Die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtete, die Demonstranten hätten ein Polizeiauto angezündet und Ordnungshüter mit Steinen beworfen. Ohrenzeugen wollen vor Beginn der Unruhen einen Schuß gehört haben. Unklar blieb, ob es sich bei den Protestierenden um Studenten handelte. Zuvor hatte der Nationale Sicherheitsrat sämtliche nicht vom Innenministerium genehmigten Demonstrationen ausdrücklich für illegal erklärt.

Auf dem Campus der Universität setzten unterdessen etwa 5.000 Hochschüler ihren Sitzstreik fort. Auch Professoren und anderes Universitätspersonal schlossen sich den Protesten an – laut Augenzeugen etwa 2.000 Personen. In der den Schiiten heiligen Stadt Qom sagten mehrere reformorientierte Mullahs ihre theologischen Vorlesungen aus Solidarität mit den Studenten ab.

Die schwersten Proteste in der Geschichte der Islamischen Republik bringen die Staatsführung massiv unter Druck. Nach dem reformorientierten Präsidenten Mohammad Chatami verurteilte gestern auch der konservative Religiöse Führer Ali Chamenei den Polizeieinsatz in einem Studentenwohnheim am vergangenen Donnerstag. Bei der Razzia waren nach offiziellen iranischen Angaben ein junger Militärdienstleistender getötet worden, der befreundete Studenten besuchte. Studenten berichten dagegen von fünf bis sechs Toten.

„Die tragischen Vorfälle und die Angriffe im Studentenheim sind in einem islamischen System auf keinen Fall hinnehmbar. Sie schmerzen mich zutiefst“, erklärte Chamenei gestern. Jeder, „der gegen Gesetze verstößt, wird zur Rechenschaft gezogen, auch wenn er eine Uniform trägt“.

Chamenei ist bemüht, Stimmung für sich zu machen, richten sich die Proteste doch inzwischen auch gegen seine Person. „Betrug und Verbrechen unter der Robe des Führers“, skandierten in den letzten Tagen Studenten und stellten gleich das Prinzip des welajat-e faqih in Frage, die Statthalterschaft der Rechtgelehrten und damit die Basis für Chameneis Amt.

Vielen Studenten gilt Chamenei zudem als graue Eminenz hinter den Ansar-e Hisbullah, den Anhängern der Partei Gottes. Die religiösen Schlägertrupps überfielen in den letzten Jahren immer wieder progressive Studenten und Redaktionsäume von liberalen Zeitungen. Auch dem Vorfall am vergangenen Donnerstag waren Prügeleien zwischen reformorientierten Studenten mit den selbsternannten Gotteskriegern vorausgegangen.

Inzwischen schließen sich auch andere gesellschaftliche Gruppen den Protesten an. Für heute haben 20 reformorientierte Zeitungen einen Streik angekündigt. Hunderte Redakteure wollen die Arbeit einstellen und so dafür sorgen, daß einen Tag lang nur die monotone konservative Presse erscheint. Der Streik ist auch ein Protest gegen das Verbot der linksislamistischen Tageszeitung Salam. Das Blatt war in der vergangenen Woche vom Pressegericht geschlossen worden, weil es aus einem Papier aus dem für den Geheimdienst zuständigen Informationsministerium zitiert hatte. Darin äußert der unbekannte Verfasser die Sorge, die seit Chatamis Amtsantritt vor zwei Jahren aufblühende Presselandschaft könne den Herrschenden gefährlich werden und müsse deshalb wieder eingeschränkt werden. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wird gerade im konservativ dominierten Parlament debattiert. Der Unmut der protestierenden Studenten richtet sich auch gegen dieses Gesetz.

Dafür, daß die Proteste weitergehen, sorgen nicht zuletzt auch Irans Justizbehörden: Gestern vermeldete Irna, der Herausgeber von Salam, Ajatollah Mohammad Choeinia, müsse sich vor einem Sondergericht verantworten.

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