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Kopftücher ziehen willkürliche Grenzen

Vor einem Jahr beendete Ferestha Ludin in Baden-Württemberg ihr Schulreferendariat. In den Staatsdienst wurde sie nicht übernommen, weil die Muslimin auf ihrem Kopftuch besteht. Eine Berliner Privatschule stellt sie jetzt samt Kopfbedeckung ein  ■   Von Gereon Asmuth

Die muslimische Lehramtsanwärterin Ferestha Ludin, die in Baden-Württemberg nicht in den öffentlichen Schuldienst übernommen wurde, weil sie darauf beharrte, aus religiösen Gründen auch im Unterricht ein Kopftuch zu tragen, wird ab dem kommenden Schuljahr an der einzigen islamischen Schule in Berlin-Kreuzberg unterrichten. Das bestätigte gestern Ludins Anwalt Hansjörg Melchinger in Karlsruhe. An der seit 1995 staatlich anerkannten Privatschule werden etwa 150 Kinder aus fünf Nationen unterrichtet.

Nach Angaben der Berliner Schulverwaltung muß die Einstellung noch genehmigt werden. „Da wir an Privatschulen jedoch nur die fachliche Qualifikation prüfen dürfen, spielt das Kopftuch keine Rolle“, erläuterte Almuth Draeger, Sprecherin der Berliner Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD). Die Senatorin bleibe jedoch bei ihrer Auffassung, so Draeger, daß eine Einstellung an einer öffentlichen Schule auch in Berlin nicht akzeptabel wäre. Eine Stellungnahme der Schule war bis Redaktionsschluß nicht zu bekommen.

Schon 1997, während ihres Referendariats an einer Grundschule im Dorf Plüderhausen, wollte die Schulbehörde Ludin die Kopfbedeckung untersagen. Die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan (CDU) erklärte damals jedoch, sie akzeptiere die Kleiderordnung Ludins als Ausdruck ihrer persönlichen Religiosität. Als im Sommer 1998 abzusehen war, daß Ludin ihr Refendariat mit so guten Noten abschließen würde, daß ihre Einstellung nicht zu umgehen wäre, diskutierte auf Antrag der „Republikaner“ sogar der baden-württembergische Landtag über den Fall.

Kurz darauf lehnte das zuständige Stuttgarter Oberschulamt die Übernahme Ludins in den regulären Schuldienst ab. Schavan argumentierte nun, sie sei nach einer Güterabwägung der Grundrechte auf Religionsfreiheit und des Grundsatzes der Objektivität und Neutralität der Amtsführung zu der Auffassung gekommen, daß Ludin für den Staatsdienst nicht geeignet sei. Referendarin habe sie nur werden dürfen, so die Kultusministerin, weil das Ausbildungsmonopol des Staates bei der Lehrerbildung eine entscheidende Rolle gespielt habe.

Nachdem das Schulamt auch einen Widerspruch Ludins abgewiesen hatte, reichte die in Afghanistan geborene Deutsche im Februar diesen Jahres Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart ein. Mit einer Entscheidung wird frühestens im Herbst gerechnet. Der Rechtsstreit werde in jedem Fall weitergeführt, erklärte Ludins Anwalt. Die Privatschule sei für seine Mandantin allenfalls eine „Zwischenstufe“, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Langfristiges Ziel bleibe die Einstellung in den Staatsdienst in Baden-Württemberg, wo sie „verwurzelt“ sei.

Eren Ünsal, Sprecherin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB), begrüßte die Einstellung. Der TBB habe sich bereits mehrfach gegen ein Kopftuchverbot ausgesprochen. Sofern keine extremistischen Tendenzen nachzuweisen seien, sollte die Einstellung von Kopftuchträgerinnen toleriert werden, forderte Ünsal.

Auch Sanem Kleff, stellvertretende Landesvorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, bezeichnete das Kopftuch als „willkürliche Grenzziehung in einer verlogenen Debatte“. Jede Form des Erscheinungsbildes eines Lehrers, etwa das Tragen von Kreuzen oder sogar Jeans, würde etwas über seine Weltanschauung offenbaren. Zudem, gab Kleff zu bedenken, benachteilige das Verbot von Kopftüchern Frauen. „Denn bei einem Mann sieht man nicht an der Kleidung, ob er eine islamistische Weltanschauung vertritt.“ Entscheidender sei, was sich unter dem Kopftuch verberge. Und da sei, nach allem, was bekannt sei, der Kollegin nichts vorzuwerfen.

Allerdings sei die Kreuzberger Privatschule nicht unumstritten, so Kleff. Zwar werde sie von einem Trägerverein ähnlich wie Waldorf- oder Privatschulen christlicher Prägung geführt. Es bestehe jedoch der Verdacht, daß über einzelne Personen des Trägervereins Verbindungen zu islamistischen Gruppen bestünden.

„Nach Abwägung des Rechts auf Religionsfreiheit und der Neutralität im Amt sind Kopftuchträgerinnen für den Staatsdienst nicht geeignet“

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