: Pakistans „süßer Dolch“ verliert an Schärfe
Der pakistanische Premierminister Nawaz Sharif beschwört mit großen Worten den Frieden, doch er hat durch den jüngsten Kaschmir-Konflikt im In- und Ausland stark an Glaubwürdigkeit verloren ■ Von Bernard Imhasly
Delhi (taz) – „Mithi Churi“ nennen die Einwohner von Lahore ihren prominentesten Mitbürger. Die Charakterisierung des pakistanischen Premiers Nawaz Sharif als „süßen Dolch“ dürfte auch sein indischer Amtskollege A. B. Vajpayee teilen. Als er im Februar in Lahore von Sharif umarmt wurde, befestigten pakistanische Truppen bereits im indischen Teil Kaschmirs Stellungen, die drei Monate später entdeckt werden sollten und beide Länder an den Rand eines Krieges brachten. Nach Kämpfen mit über tausend Toten kehrt Sharif jetzt wieder zu den Schalmeientönen zurück.
Am Montag abend beschwor er in einer Fernsehansprache das Bild eines Subkontinents, der von Konflikten wie in Kaschmir ausgehungert werde. Krieg sei nicht die Lösung, weil er Indien und Pakistan nur noch weiter in die Armut treibe. Die Atomtests hätten die Gefahr eines nuklearen Holocausts weiter vergrößert. Zugleich aber sah Sharif in Pakistans Atomversuchen das Symbol für die Leistungskraft und Sicherheit seines Landes. Er gratulierte den „Freiheitskämpfern“ für ihre heldenhaften Leistungen in Kaschmir. Drohend fügte er hinzu, die umkämpfte Region Kargil sei nur der Vulkan für eine brodelnde Lava, die auch anderswo ausbrechen könne. So wurde aus der Niederlage plötzlich ein Sieg. Der diplomatisch und militärisch erzwungene Rückzug Pakistans wurde zum Akt der Vernunft angesichts indischer Aggressivität.
Durch solch verbale Verrenkungen vergrößert sich das Glaubwürdigkeitsdefizit, das Sharif noch die Macht kosten könnte. Die heftige Kritik am „Ausverkauf von Washington“, wo sich Sharif zum Rückzug verpflichtet hatte, zeigt, daß die islamistische Opposition dem Premier das süße Lächeln nicht mehr abnimmt. Sie sieht den Dolch nicht gegen Indien, sondern gegen sich gerichtet. Noch kann sich Sharif auf die Armee stützen. Aber sein Versuch, den Islam zur Festigung seiner Macht einzusetzen, indem er die Interpretation islamischen Rechts der Regierung übertragen will, mißlang. Vielmehr zog er sich mit der Förderung islamistischer Gruppen für außenpolitische Ziele in Kaschmir und Afghanistan einen gefährlichen innenpolitischen Gegner heran.
Auch das Ausland bezweifelt zunehmend Pakistans Verläßlichkeit. Jahrzehntelang genoß es mit seinem Ruf nach einer gerechten Lösung für Kaschmir internationale Sympathien. Seine seit zehn Jahren anhaltende Unterstützung des Volksaufstands im indischen Teil wurde ihm verziehen. Doch als es klammheimlich sein Territorium ausweiten wollte und mit der Atomwaffe drohte, sobald Indien massiv militärisch reagierte, wandte sich der Westen ab. In Washington ist jetzt ein Gesetzentwurf anhängig, der Pakistan für Kredite des Internationalen Währungsfonds sperren soll. Moniert wird nicht nur, daß Kredite für Waffen abzweigt werden, sondern auch, daß Pakistan enge Beziehungen zu den afghanischen Taliban hat. Sie gewähren dem Terroristen Ussama Bin Laden Unterschlupf.
Vielleicht ist es unausweichlich, daß Pakistan einen so schillernden Politiker wie Sharif an seine Spitze gewählt hat. Er spiegelt die Konfusion und Widersprüchlichkeit seines Landes wider. Seit es vor 52 Jahren aus dem britisch-indischen Kolonialreich geschnitten wurde, sucht Pakistan eine eigene Identität, unabhängig von der seines großen Nachbarn. Doch je verbissener es dies tut, desto mehr verbeißt es sich in den Intimfeind. Dessen Säkularismus wird mit dem Festhalten am Islam gekontert, Indiens kulturelle Diversität erhält als Gegenbild eine einheitliche islamische Kultur. Dies macht Kaschmir zum explosiven Symbol. Zwischen beiden Staaten gelegen, ist dessen muslimische Bevölkerung für Indien Beweis seiner religiösen Vielfalt und für Pakistan das fehlende Stück, um sich als das „Volk der Reinen“ zu fühlen. Doch es ist schwer, mit einem Namen zu leben, der sich jeden Tag weiter von der Realität entfernt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen