: Bei Schlüsselworten springt der Recorder an
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet heute, ob der Bundesnachrichtendienst Telefongespräche ins Ausland nach dem Zufallsprinzip abhören darf. taz klagt gegen Verbrechensbekämpfungsgesetz ■ Von Wolfgang Gast
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheidet heute über die Zulässigkeit der elektronischen Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes. Kläger ist neben anderen auch die taz. Verlag und Redakteure strengten das Verfahren an, damit ihre Telefonate mit dem Ausland nicht mehr automatisch vom BND aufgezeichnet und verwertet werden dürfen. Für die Pullacher Schlapphüte ist das heutige Urteil von entscheidender Bedeutung, denn darin wird der Rahmen ihrer künftigen Befugnisse festgelegt.
Hintergrund des Verfahrens ist das im Herbst 1994 verabschiedete „Verbrechensbekämpfungsgesetz“. Es legalisierte ein Vorgehen, das die Geheimdienstler bereits seit Jahren praktizierten. Mit hochwertigen Computern und ausgefeilter Software hält der Dienst in den weltumspannenden Fernmeldenetzen Ausschau nach Informationen über den internationalen Terrorismus, den Drogenhandel oder die illegale Weitergabe von Atomwaffentechnologien. Mit der Verabschiedung des Gesetzes durfte der ursprünglich nur für das Ausland zuständige Dienst zudem erstmals auch Kommunikationsverbindungen vom Ausland in die Bundesrepublik und umgekehrt überwachen. Weiterhin wurden die Lauscher in Pullach im großen Stil ermächtigt, eigene Erkenntnisse auch an die Strafverfolgungsbehörden im Inland weiterzugeben.
Gegen diese gesetzlichen Regelungen hat der Berliner Rechtsanwalt Johannes Eisenberg für die taz und im besonderen für den in Italien lebenden taz-Korrespondenten Werner Raith Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Die Beschwerde der taz wurde mit beinahe gleichlautenden Beschwerden des Hamburger Strafrechtprofessors Michael Köhler und der freien Journalistin Gabi Weber zusammengezogen. Als Experte für Drogenkriminalität und -handel hat Köhler, wie die Journalisten, zahlreiche internationale Kontakte.
Im Juli 1995 gelang Köhler ein Teilerfolg: Im Wege einer einstweiligen Verfügung wurde dem BND für die beinahe schrankenlose Weitergabe von Informationen an die Strafverfolger ein Riegel vorgeschoben. Die Karlsruher Richter ordneten an, eine Weitergabe sei nur zulässig, wenn „konkrete Verdachtsmomente“ für eine Straftat vorlägen.
Im Dezember letzten Jahres lud das Gericht zu einem zweitägigen Expertenhearing. „Das Verbrechensbekämpfungsgesetz hat sich bewährt“, erklärte dabei für die gerade neu gewählte Bundesregierung der Innenstaatssekretär Claus-Henning Schapper (SPD). Er lobte vor allem die Möglichkeit, den Nachrichtendienst gezielt nach internationalen Waffenhändlern suchen zu lassen. Vorfälle wie um die libysche Giftgasfabrik in Rabta könnten so künftig vermieden werden: „Für diese Fabrik haben deutsche Firmen wesentliche Teile zugeliefert. Doch der BND mußte von Geheimdiensten des befreundeten Auslands informiert werden.“
Strafrechtler Köhler hielt dem entgegen, daß die Rasterfahndung im Äther vor allem „unbescholtene und unverdächtige Bürger treffe“. Er sah die Gefahr, daß ein Präzedenzfall geschaffen werde: „Heute geht es nur gegen Waffen- und Drogenhändler, Terroristen und Geldfälscher. Doch solche Kataloge werden, wie wir wissen, schnell ausgeweitet“, mahnte Köhler. taz-Anwalt Johannes Eisenberg wies ergänzend auf mögliche Folgen für die Pressefreiheit hin: „In bestimmten Bereichen ist eine Recherche mit Auslandsbezug praktisch nicht mehr möglich.“ Informanten würden nicht mit der Presse telefonieren, wenn sie wüßten, daß schon das Benutzen bestimmter Wörter zum Abhören des Gesprächs führen kann.
Alles halb so schlimm, argumentierte dagegen der Geheimdienst. Dessen Präsident, August Hanning, machte folgende Rechnung auf: Täglich kommt es zu 8 Millionen Telekommunikations-Kontakten von und nach Deutschland. Davon werden aber 90 Prozent via Kupfer- oder Glasfaserkabel abgewickelt und sind damit dem BND-„Staubsauger im Äther“ entzogen. Von den verbleibenden 800.000 Verbindungen erfaßt der BND nach dem Zufallsprinzip täglich 700. Und nur in 20 Fällen springen die Suchmaschinen des BND tatsächlich an: „Die Wahrscheinlichkeit, daß sich der BND mit einem bestimmten Telefonat oder Fax näher beschäftigt, liegt etwa bei 1 zu 300.000.“
Und noch ein weiteres „Mißverständnis“ versuchte der BND-Präsident auszuräumen. „Eine Spracherkennung bei Telefonaten ist wohl erst in einigen Jahren möglich.“ Bei Telefongesprächen könne bisher allein nach den beteiligten Telefonnummern gefiltert werden. Nur bei Telex- und (mit Einschränkungen) bei Fax-Verbindungen sei überhaupt die Suche nach konkreten Worten möglich.
„So gesehen mag der Eingriff ja recht gering sein“, sagte nach dieser Schilderung Verfassungsrichter Dieter Grimm verwundert, „aber ist dann nicht auch der Ertrag recht niedrig?“ Doch so wollten die BNDler ihre Ausführungen nicht verstanden wissen. „Wenn wir etwas finden, ist das zwar wie ein Lottogewinn, aber dann wissen wir“, so ein hoher BND-Beamter, „daß es schon tausend ähnliche Faxe gegeben hat.“
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