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Im Juli sind sie aus der Wolle

Die Schur ist vorbei: Auch in Schleswig-Holstein beginnt jetzt für eine Viertel Million Schafe vor allem an der Nordsee der Sommer  ■ Von Heike Wells

Mit der Schermaschine am Hals hinunter, an jeder Körperseite, Bauch und Rücken entlang – schon steht das Schaf ohne Pelz da: Der Schafscherer Martin Petersen aus Langenhorn im Kreis Nordfriesland versteht sein Geschäft. Rechtzeitig zur ersten Hitzewelle wurden die Schafe in Schleswig-Holstein um ihre Wolle gebracht. Aber am Ende der Schursaison stehen die Schafhalter mit fast leeren Händen da: Die Wollpreise haben ein Rekordtief von 70 bis 80 Pfennig pro Kilo erreicht. Rund 224.000 Tiere sind im Laufe der vergangenen Wochen unters Messer oder, korrekter gesagt, die Schermaschine gekommen: „Mitte Juli sind in der Regel alle aus der Wolle“, erklärt der Geschäftsführer des Landesverbandes der schleswig-holsteinischen Schafzüchter, Hans-Michow Schröder.

Der größte Teil der Schafe lebt an der Westküste. Hier haben sie eine wichtige Funktion als „Küstenschützer“: An den Deichen halten sie den Bewuchs niedrig und mit ihren spitzen Hufen die Grasnarbe dicht. Nordfriesland ist der schafreichste Kreis mit rund 90.000 Tieren. In den Betrieben mit bis zu 2000 Schafen geht die Schur im Akkord. Etliche Schafhalter tun sich mit Kollegen zu Scherkolonnen zusammen, die die Herden nach und nach „durchforsten“, berichtet Schröder.

Martin Petersen läßt es langsamer angehen: Seine rund 200 Schafe schert er allein, in Partien von jeweils 40 bis 50 Stück. Das sieht aus, als würde er die Tiere aus einem dicken Mantel herausschälen. Nur wenige Minuten, dann ist ein Schaf um vier bis fünf Kilo Wolle im wahrsten Sinne des Wortes erleichtert. Die wird, nachdem die zentrale Vermarktungsgesellschaft vor einigen Jahren in den Konkurs ging, heute direkt auf dem Hof von Aufkäufern abgenommen. Mehrere größere Wollhändler gibt es in ganz Schleswig-Holstein.

Von den rund 4000 Schafhaltern im Lande sind 1000 dem Landesverband angeschlossen. Etwa 250 Betriebe gelten als Vollerwerbsschäfereien, die größten davon mit bis zu 2000 Tieren. Einnahmen erzielen sie aus dem Woll- und dem Fleischverkauf sowie durch die Mutterschaftsprämie der Europäischen Union; dazu kommt in einigen Regionen eine Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete.

Sehr zum Kummer der Schafhalter aber sind die Wollpreise seit Jahren im Keller. Osteuropäische und asiatische Länder wie Rußland, Korea und China, früher Hauptabnehmer der schleswig-holsteinischen Wolle, hätten sich aus dem Markt abgemeldet. „Die haben kein Geld mehr“, sagt Schröder. Mit 70 bis 80 Pfennig gibt es dieses Jahr sogar noch weniger für das Kilo Schafwolle als 1998 – so wenig, daß der Erlös oft gerade den Scherlohn deckt.

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