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So weit die Füße tragen

■ Mit einer Mediathek soll der Fernsehgeschichte gedacht werden. Aber das Konzeptgerangel ist längst eine Geschichte für sich

Wie sah der junge Klausi Beimer von der „Lindenstraße“ aus? Warum war „Tatort“-Kommissar Haferkamp Schwarm aller Frauen? Wer das wissen will, sei es aus privatem oder wissenschaftlichem Interesse, muß viel Geld bezahlen oder auf eine Wiederholung warten. Wenn es nach den Befürwortern des Rundfunkmuseums „Mediathek“ ginge, wäre das bald anders. Sie wollen die TV-Vergangenheit samt Wickert und „Glücksrad“ in Berlin zugänglich machen: Via Computer an 70 Bildschirmen abrufbar. Dazu Magazine und Hörspiele, die Radiogeschichte geschrieben haben.

Die Idee klingt, als warte sie nur auf ihre Umsetzung. Doch die Pläne für eine Programmgalerie des Deutschen Rundfunks waren von den Verantwortlichen in diesem Jahr schon zu den Akten gelegt worden. Erst durch einen Deal des Berliner Senates erhielt das Projekt nun unverhofft Rückenwind: Als die Stadt Berlin vor zwei Wochen Teile ihrer Wasserbetriebe an ein Konsortium unter Führung des französischen Mischkonzerns Vivendi verkaufte, verpflichtete der sich im Gegenzug, 40 Prozent der jährlichen Kosten für die Mediathek zu übernehmen.

Fast 40 Prozent des Budgets sind dennoch weiter offen, denn der Berliner Senat will selbst nur 20 Prozent tragen. Und die televisionären Geschichtsschreiber ARD und ZDF geben sich ebenfalls zugeknöpft.

Dabei wurde die Idee einer Mediathek Mitte der 80er Jahre in einem ihrer Archiven geboren. Der Dokumentarfilmer Eberhard Fechner hatte feststellen müssen, daß eines seiner Frühwerke gelöscht worden war – das Bandmaterial war für eine andere Sendung benötigt worden: Das Fernsehen drohte ein Medium ohne Geschichte zu werden. 1995 begann ein Gründungsbüro auf dem Gelände des ehemaligen DDR-Fernsehens, Bestände zu sichten und Kriterien für Auswahl, Aufbereitung und Dokumentation zu erarbeiten.Vorbild war das New Yorker Museum of Broadcasting, das seit über 20 Jahren TV- und Radioprogramme sammelt. Mehr als 80.000 Sendungen umfaßt dort der Bestand, erzählt der Gründungsbeauftragte der Mediathek Helmut Drück, ehemals Intendant des Berliner Rias. Für die Deutsche Mediathek sollten 1.000 Stunden jährlich ausgewählt werden, knapp 20 Stunden pro Woche. Es gehe nicht um Vollständigkeit, so Drück, sondern um die „prägenden und repräsentativen deutschsprachigen Programmleistungen“.

Das mediale Gedächtnis sollte an jenem Potsdamer Platz stehen, wo einst der Rundfunk begann und nun die Firma Sony eine Medienglitzerwelt aufbaut. Die Archiv-Schätze würden so einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Listen seiner Wunschsendungen hat Drück schon griffbereit.

Seit 1995 plant und verhandelt der Exintendant nun schon. Ergebnis: Nichts als Absichtserklärungen. Im Juni 1997 wurde ein Konzept vorgelegt, an dem sich auch ARD, ZDF, Sat.1, Pro 7 und RTL beteiligt hatten. Geplante jährliche Betriebskosten: 8 Millionen Mark. Zu einer weitergehenden Einigung kam es nie, obwohl der Senat für das Projekt schon einen Mietvertrag für 25 Jahre mit Sony abgeschlossen hatte – für 2.600 Quadratmeter à 49 Mark im Filmhaus am Potsdamer Platz.

Trotz des Mietvertrags geht es nicht voran. Hat der Senat dilettantisch verhandelt, wie die grüne Abgeordnete Alice Ströver kritisiert? Sind ARD und ZDF die arroganten Bremser, die ihre Perlen lieber im Keller verstauben lassen, als ein paar Mark auszugeben, wie Mediatheksbefürworter argwöhnen? Oder war das ganze Projekt inhaltlich und finanziell nicht zu Ende gedacht, wie manch öffentlich-rechtlicher Vertreter sagt?

Ein Grund für die Blockade ist sicher das Angebot der ARD, das von ihr getragene Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) in das Museum einzubringen. Die anderen Beteiligten sahen darin ein „verdecktes Sanierungs- und Einverleibungskonzept“. Der Leiter des Archives, Joachim-Felix Leonhard, hält dagegen, man brauche nicht „das Rad zum fünften Mal neu zu erfinden“. Die Gründung einer Mediathek sei unnötig, fast alle Elemente des Projekts würden durch sein Archiv abgedeckt. Allenfalls fehle der öffentliche Raum zur Präsentation, sagt Leonhard, der seine Schätze auch über Bibliotheken und andere Einrichtungen zugänglich machen würde.

Lange Zeit stand der Senat also allein da mit seiner Bereitschaft, 20 Prozent des jährlichen Budgets zu übernehmen. Der Kulturausschuß des Bundestages fand nur aufmunternde Worte. Lediglich Sat.1 versprach unter Bedingungen ein wenig Geld. Erst im Frühjahr erklärten die wohlhabenden Landesmedienanstalten, sie würden den Minibetrag von 200.000 Mark jährlich beisteuern.

Das Land Berlin hatte da die angemietete Fläche bereits der Deutschen Kinemathek übertragen – „vorläufig“. Für den Fall, daß die Gründung der Mediathek doch noch irgendwann erfolgen sollte. Das Jahresbudget des Gründungsbüros von 300.000 Mark wurde freilich inzwischen gestrichen.

Nun soll Vivendi der Retter sein. Bis Ende des Jahres könnte eine Trägereinrichtung gegründet werden, sagt Dietrich Reupke, Referatsleiter Medien beim Berliner Regierungschef. Er sei „vorsichtig optimistisch“. In einer Arbeitsgruppe, an der auch der Konzern beteiligt ist, soll das Mediathek-Konzept überarbeitet werden.

Und die Wünsche von Vivendi? Mehr Unterhaltung – weniger Museum, so ist zu erfahren. Man analysiere noch, heißt es aus dem Unternehmen, das in Babelsberg in den letzten sieben Jahren rund 300 Millionen Mark in den Aufbau einer Medienstadt gesteckt hat. Bei Vivendi dürfte (neben dem Wasser-Deal) der attraktive Standort in der Mitte Berlins eine wichtige Rolle gespielt haben, sich bei dem siechenden Projekt zu engagieren.

Von Drücks ursprünglichem Konzept einer zentralen Programmgalerie am historischen Ort wird wohl nicht viel übrigbleiben. Der Großkonzern scheint die Mediathek auf verschiedene Standorte verteilen zu wollen, mit dem Schwerpunkt „Entertainment“ im Sahnestück Berlins. Vorbild: Die vielgelobte Oberhausener Ausstellung „Der Traum vom Sehen“. „Vivendi will es populärer“, versucht Drück Boden gutzumachen, „aber das wollten wir ja auch immer, haben es nur nicht betont.“

Rentabel soll das Ganze natürlich auch sein. Vivendi wolle nur „Geburtshelfer“ sein, erklärt Friedrich-Carl Wachs, der Geschäftsführer von Studio Babelsberg. Letztlich muß das Projekt also kostendeckend, später gar gewinnbringend betrieben werden.

Sieht so ein Durchbruch aus? ZDF-Sprecher Walter Kehr sagt, man habe „registriert“, daß neue Bewegung in das Projekt gekommen sei. Aber: „Wir brauchen alle Mittel fürs Programm.“ Kaum Bewegung auch bei der ARD. „Wir würden mit dem Rundfunkarchiv doch sowieso den Löwenanteil stellen“, wiederholt Jan Büttner, stellvertretender ARD-Sprecher, die bekannte Position.

Der Leiter des Archives, Joachim-Felix Leonhard, hält das ganze Projekt schon für „gescheitert“ und fordert einen runden Tisch: mit dem Senat, den Bossen aller Sender und dem neuen Akteur Vivendi. „Dann weiß man endlich, ob man was zusammen machen will oder nicht.“ Denn, so Leonhard, einen echten Planungsauftrag habe es nie gegeben. Der Berliner Senat will erst im Spätsommer Kontakt mit den Rundfunkanstalten aufnehmen. Zuerst wird mal wieder ein neues Konzept gemacht. Georg Gruber

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