: Urteil vorab ausgemauschelt
Erster Prozeß gegen KurdInnen wegen der Besetzung der SPD-Zentrale im Februar endet ohne Beweisaufnahme mit hohen Strafen ■ Von Elke Spanner
Eine Kröte zu schlucken, sei immer schwer, belehrt der Vorsitzende Richter Gerhard Schaberg die Rechtsanwältin Gabi Heinecke, „aber manchmal ist es eben so“. Damit war das letzte Wort gesprochen im ersten Prozeß gegen die KurdInnen, die Mitte Februar die SPD-Zentrale in der Kurt-Schumacher-Allee besetzt hatten, nachdem in der Nacht zuvor der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan aus Nairobi in die Türkei entführt worden war. Gestern wurden vier der mutmaßlich 20 KurdInnen zu einem Jahr Freiheitstrafe auf Bewährung verurteilt. Der Vorwurf gegen sie lautet auf Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall, schweren Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Verstoß gegen das Vereinsgesetz.
Nicht angeklagt waren die vier wegen der Geiselnahme an dem SPD-Kreisgeschäftsführer Dirk Sielmann und der Sachbeschädigung an dem Büroinventar, das im Laufe der mehrstündigen Besetzung aus den Fenstern des dritten Stockes geworfen worden war. Denn den hatten sie unstrittig nie betreten. Sie waren bereits am Vormittag kurz nach Beginn der Besetzung im zweiten Stock der SPD-Zentrale verhaftet worden, ehe sich der Rest der Gruppe im dritten Stock verbarrikadierte.
Und hier lag das Problem. Laut Verteidigung könne den Angeklagten nämlich nur ein einfacher Hausfriedensbruch zur Last gelegt und der nur mit einer Geldstrafe geahndet werden. Schaberg hatte hingegen in Aussicht gestellt, über die Angeklagten zusammen mit denjenigen zu richten, denen zudem die Geiselnahme vorgeworfen wird.
Am vorigen Montag sollten die beiden Prozesse formell zu einem verbunden werden. Das aber hätte für die vier Angeklagten zur Konsequenz gehabt, daß ihr Prozeß nicht schon jetzt, sondern frühestens im Herbst hätte eröffnet werden können. Und da zwei von ihnen noch in Untersuchungshaft saßen, wollten sie diese Konsequenz gerne vermeiden.
Also erklärten sich alle Prozeßbeteiligten vorigen Freitag bei einem Treffen zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zu einer „einvernehmlichen Lösung“ bereit: Gegen die vier wird gesondert verhandelt, und zwar sofort. Dafür verzichten sie auf eine aufwendige Beweisaufnahme, an deren Ende das Ergebnis hätte stehen können, daß sie nur einen Hausfriedensbruch begangen haben. Sie erkennen ein Urteil von einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung an, der U-Haftbefehl wird aufgehoben und die Sache ist vom Tisch.
„Derartige Gespräche sind zulässig und sachdienlich“, so Richter Schaberg. Dennoch betonte Verteidigerin Heineke in ihrem Plädoyer: „Ich habe starke Bauchschmerzen mit dieser hohen Strafe“.
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