: „Ausgegrenzt. Feierabend“
■ Nach 15 Jahren stoppt Bremen seine „vorbildhaften“ Integrationsklassen / Eltern behinderter Kinder resignieren
Maren Conrad hatte vor vier Jahren ein „Schweineglück“. Ihr Sohn Olaf kam damals in die letzte Integrationsklasse in die Grundschule an der Robinsbalje. Ein Jahr später hätte der mehrfachbehinderte Junge schlicht in die Sonderschule gehen müssen. Denn seit 1996 gibt es keine Integrationsklassen mehr: Das als „vorbildhaft“ geltende Integrationsmodell in Huchting und Burgdamm läuft in diesen Sommerferien aus.
Mutter Conrad graut es, wenn sie an Sonderschulen denkt. Mit dem Bus wäre Olaf dann durchs Stadtgebiet kutschiert worden – „in eine Spezialschule. Weg von allen anderen. Ausgegrenzt. Feierabend“, kommentiert seine Lehrerin Ulrike Stedefeder. „In Huchting dagegen kennt Olaf jedes Kind, auf Spielplätzen ist er nie allein“, berichtet Conrad. „Wichtig ist doch, daß diese Kinder da zur Schule gehen, wo sie wohnen.“
Das 15 Jahre alte Versuchsmodell der beiden Bremer Grundschulen hatte deshalb „bundesweit eine Vorreiterrolle“, erzählt die Sonderpädagogin Stedefeder. Denn hier wurden alle Kinder aus dem Einzugsbereich aufgenommen. Auch die Mehrfach- und Schwerstbehinderten. Bis zu drei PädagogInnen kümmerten sich bis mittags um die Kinder. Das ist mit dem neuen Schuljahr nun endgültig vorbei. Der Bildungsbehörde wurde der Schulversuch zu teuer: Jetzt soll es flächendeckend neue sogenanne „integrative“ Grundschulen geben. Allerdings nicht mehr für alle Kinder sondern nur noch für die Lernschwachen. Geistig behinderte Kinder wie Olaf sollen wieder in Sonderschulen gehen.
Dabei ist für Mutter Maren Conrad gerade wichtig, daß sich Olaf mit ,normalen' Kindern auseinandersetzt. In Sonderschulen gäbe es das bis auf wenige Kooperationsstunden nicht. „Und die sind sehr arbeitsaufwendig“, erklärt Maria Enkler vom Personalrat Schule. Ob sie zustande kommen, hänge letztlich am Engagement der LehrerInnen.
In der Integrationsklasse an der Robinsbalje dagegen hat Olaf Erfahrung mit anderen Kindern machen können. Er hat gelernt, „daß die anderen Kinder anders sind, besser, schneller. Er mußte lernen zu rufen: ,Halt ich komm nicht mit.'“, sagt seine Mutter – ein Glück, von dem viele andere Eltern nur träumen konnten. Alles mögliche hätten einige probiert, um ihre behinderten Kinder in den Integrationsklassen unterbringen zu können. „Der Bedarf war riesig“, berichtet auch Grundschul-Leiterin Hilke Hofmann aus Burgdamm. Sogar himmelweite Arbeitswege und Umzüge hätten die Eltern in Kauf genommen.
Hofmann erzählt von einer Mutter mit einem Down-Syndrom Kind aus Dresden, die nur mal hospitieren wollte. „Wir haben ihr gesagt, das Modell läuft aus. Das gibt es nicht mehr.“ Sie ist trotzdem gekommen, wollte sehen, wie behinderte Kinder hier unterrichtet werden.
Vieles ist nämlich anders in den Integrationsklassen. An der Robinsbalje gibt es zum Beispiel keine Bücher. Stedefeder und Kollegin machen statt dessen Projektunterricht. „Mit allen Sinnen“ sollen die behinderten Kinder angesprochen werden. Unterricht auf „basaler Ebene“, heißt das. Das ist zugleich Ausgangspunkt für die anderen „auf eine abstrakte Ebene zu gehen“, erklärt Ulrike Stedefeder. Mutter Maren Conrad ist jedenfalls „baß erstaunt“, was Olaf alles gelernt hat.
Mit Resignation und Unverständnis reagierten Lehrer und Eltern, als trotz dieser Erfolge vor vier Jahren das Aus kam. Denn eine Betreuung wie in den Grundschulen Robinsbalje und Burgdamm wird es in Zukunft kaum noch geben. Nach dem neuen Konzept der Bildungsbehörde sollen geistig Behinderte in Sonderschulen gehen. Daß lernschwache Kinder künftig flächendeckend die neuen „integrativen Grundschulen“ besuchen sollen, finden die Eltern zwar erstmal positiv. Doch unklar ist noch, wie intensiv die Kinder dort betreut werden. Kommt eine zweite LehrerIn in die Klasse? Oder werden die Kinder separat unterrichtet? Das zumindest hätte mit Integration nicht mehr viel zu tun. Bis zum nächsten Schuljahr fehlen der Bildungsbehörde aber noch Lehrer – und über Neueinstellung wird gerade verhandelt. pipe
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