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Eine basisdemokratische Künstlersymbiose

Nein, Margarete Steffin wurde nicht von Bertolt Brecht ausgebeutet. Und eine große Schriftstellerin wäre sie ohne ihn auch nicht geworden. Ihre Briefe belegen, daß sie bei Brecht in dichterischer Ausbildung war und ihn dafür in politischen Fragen beriet  ■   Von Sabine Kebir

Margarete Steffin, Mitarbeiterin und Geliebte Bertolt Brechts, wird nach dessen Biographen John Fuegi nun auch von Ursula El Akramy zur ausgebeuteten Ikone stilisiert. Hier wie dort lautet der Tenor der Klage, sie hätte sich nur aus der sexuellen Abhängigkeit von Brecht lösen müssen, um zu ähnlichem literarischen Rang aufzusteigen. Und während beide Autoren Brecht Stalintreue anlasten, stellen sie der Steffin keine kritischen Fragen zu ihrem Verhältnis zur Sowjetunion. Doch die Geschichte von der bedauernswerten, ausgebeuteten Geliebten bestätigt sich nicht, wenn man die nun in wichtigen Teilen vorliegende Korrespondenz der Steffin genau betrachtet. Diese Briefe sowie das Vorwort von Stefan Hauck lassen die Rekonstruktion eines realistischeren Bildes des Verhältnisses Steffin/Brecht zu.

Hauck arbeitet Steffins Herkunft aus der Arbeiterkulturbewegung genauer als frühere BiographInnen heraus. So wird nachvollziehbar, wieso sie auch in den dreißiger Jahren die sozialen Errungenschaften der Sowjetunion noch für wesentlicher hielt als die von ihr auch wahrgenommene stalinistische Verkrüppelung. Bei der Bewertung von Brechts nachsichtiger Haltung zu Stalin sollte in Zukunft berücksichtigt werden, daß sie erheblich von der Steffin geprägt war, deren Tod er 1941 als den Verlust seines politischen „Führers“ beklagte. 1937 hielt sie es noch für denkbar, daß Brecht und Helene Weigel in der Sowjetunion vernünftige Arbeitsbedingungen finden könnten. Und dem nach Palästina emigrierten Arnold Zweig gegenüber schwärmte sie von einer jüdischen Kolchose. Erst, nachdem der befreundete Michael Kolzow verhaftet wurde, predigte sie die Emigration in die USA.

Obwohl vom Verlag als private Briefe an „berühmte Männer“ präsentiert, zeigt die Lektüre, daß es sich in der Regel um Auftragskorrespondenz für Brecht handelt. In den meisten Briefen geht es darum, die kollektive Arbeitsweise auch unter den Bedingungen des Exils fortzusetzen. Die Steffin vermittelte Manuskriptaustausch, forderte Beurteilungen ein (sie schickte Walter Benjamin auch ihr eigenes Kinder-Stück „Wenn er einen Engel hätte“), Unterstützung bei Publikationen und beim Eintreiben von Honoraren. Das schloß nicht aus, daß man sich auch über die Nöte des Exils austauschte.

Die Zeit der Emigration war für die durch Armut und Krankheit tatsächlich ganz auf Brecht angewiesene Steffin besonders hart. Die Korrespondenz belegt, daß sie sich – trotz mancher Zweifel – auf ihn verlassen konnte. Belegbar ist nun auch, daß sie nicht wegen Überbeanspruchung durch ihn an eigenen Arbeiten gehindert wurde. Oft klagt sie, daß ihr in den „stillen Stunden“ der Elan fehle, „für die Schublade“ zu arbeiten. „Der Markt ist ja winzig.“

Daß der Verlag das Buch als Beleg erstaunlicher Beziehungen einer Autodidaktin zu berühmten Autoren präsentiert, verstellt den Blick darauf, daß es sich hier um eine Symbiose zwischen der Arbeiterkulturbewegung und der Hochkultur mit egalitärer Perspektive handelt. Steffin befand sich bei Brecht in permanenter Ausbildung. Unter seinem Einfluß schrieb sie – teilweise in den Briefen enthaltene – beachtenswerte Gedichte und Kurzprosa. Ihre dramatischen Versuche beurteilte sie selbst als noch im Agitpropstil befangen. Für Brecht wiederum war sie nicht nur wichtig wegen seines unstillbaren Bedarfs an konkreten soziologischen Kenntnissen der proletarischen Welt, sie half ihm auch bei der Erzeugung einer zugleich klassischen wie auch den Arbeitern verständlichen Sprache. Welcher Art ihre Vorschläge waren und wie er sie verwertete, geht aus einem mit seinen Anmerkungen versehenen Brief zu einer Szene zu „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ hervor.

Von dem zu Ende der fünfziger Jahre in der DDR proklamierten „Bitterfelder Weg“, der ebenfalls Arbeiter- und Hochkultur zusammenführen sollte, unterscheidet sich die künstlerische Symbiose Steffin/Brecht vor allem durch ihre basisdemokratische Ausrichtung. Obgleich Steffin der Partei näher stand als Brecht, schwebte auch ihr eine eher der Wirklichkeit als der Partei verbundene Literatur vor. Weil sich heutige Literaturmode gegen jede soziologische Fundierung sperrt, mag das Projekt Steffin/Brecht antiquiert erscheinen. Dennoch sollte es nicht nur als Beispiel ewigen Geschlechterkampfs gelten. Vielmehr müßte es als geglücktester Teil eines Kapitels deutscher Kulturgeschichte aufgearbeitet werden. „Margarete Steffin: Briefe an berühmte Männer. Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Arnold Zweig“. Hrsg. Stefan Hauck, EVA 1999, 355 S., 48 DM Ursula El-Akramy: „Transit Moskau. Margarete Steffin und Maria Osten“. EVA 1998, 407 S., 38 DM

Die Korrespondenz belegt, daß sich die Steffin trotz aller Zweifel immer auf Brecht verlassen konnteDie Verbindung zwischen Steffin und Brecht war eine vorbildliche Symbiose aus Arbeiter- und Hochkultur

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