piwik no script img

Studenten sollen über Wahlprogrammen büffeln

Mit oder ohne Studiengebühren wollen die Parteien im Oktober auch an den Universitäten Stimmen fangen  ■   Von Ralph Bollmann

An den Hochschulen ist der Wahlkampf schon vorbei. In dieser Woche schleppen sich die Studenten bei brütender Hitze zum letzten Mal in Seminare und Vorlesungen, dann entschwinden sie in die Ferien, pardon: in die „vorlesungsfreie Zeit“. Bis zum Berliner Urnengang am 10. Oktober werden sie die Hochschule nur noch sporadisch betreten.

Kein Wunder also, daß sich alle Parteien kurz vor Torschluß noch einmal in die Hörsäle begeben haben. Mit mäßigem Erfolg allerdings, denn die Studenten machten sich rar. So konnte SPD-Spitzenkandidat Walter Momper, der sich schon seit Wochen auf einer Veranstaltungsreihe „Kompetenz für Berlin“ aneignet, in seiner „Zukunftswerkstatt Hochschule“ fast nur geladene Partei- und Hochschulfunktionäre begrüßen. Zu einer Podiumsdiskussion der Bündnisgrünen, zu der immerhin die Experten aller Parlamentsfraktionen gefunden hatten, fanden kaum mehr als zehn Zuhörer, die der Moderatorin allesamt namentlich bekannt waren. Und auch die CDU-Bildungsexpertin Monika Grütters konnte sich nur über ein mäßiges mediales Echo freuen, als sie vor Journalisten über die Einführung von Studiengebühren dozierte.

Dabei haben alle Parteien das vermeintliche „Megathema“ Bildung in ihren Wahlprogrammen relativ weit nach vorne gestellt. Trotzdem ist das Thema, so die CDU-Abgeordnete Grütters, innerhalb der Parteien „nicht das populärste“ – und deshalb vergleichweise wenig politisiert, weshalb in gewöhnlichen Zeiten quer zu den Parteigrenzen diskutiert wird.

Für ihre Wahlprogramme mußten sich die Parteien aber auf klare Positionen festlegen. Für die CDU heißt das: „Wir wollen die Einführung von Studiengebühren (1.000 DM im Semester)“. Die SPD hingegen findet „zusätzliche finanzielle Belastungen durch Studiengebühren“ für die Studierenden „nicht akzeptabel“. Die Bündnisgrünen springen ihrem Wunschpartner bei und beteuern, mit ihnen werde es „in Berlin keine finanziellen Zugangshemmnisse wie Studiengebühren geben“ – auch wenn ihr Parlamentsaspirant Bernhard Weinschütz gestehen muß, die Gebühren seien in seiner Partei „kein Tabuthema“.

Erstaunlicherweise ist die Hochschulpolitik also der einzige Bereich, in dem die CDU noch nicht auf den Zug populistischer Sozialfürsorge aufgesprungen ist – es sei denn, sie spekulierte auf die Popularität von Studiengebühren in den nichtakademischen Kreisen.

Gleichwohl möchte die CDU-Abgeordnete Grütters nicht den Eindruck erwecken, daß sie Studiengebühren von Herzen wünsche. Im Gegenteil: Studiengebühren, so glaubt sie, würden wegen der Unterfinanzierung der Hochschulen auf lange Sicht ohnehin unausweichlich. Gerade deshalb sei es aber „ein entscheidender Fehler, das totzuschweigen“. Nur wer jetzt „tabulos“ über das Thema rede, könne verhindern, daß die Finanzminister solche Studienbeiträge zu ihren Konditionen einführten. Grütters' Vorschlag, den auch Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU) teilt: 1.000 Mark „Studienbeitrag“ pro Semester, kostenloses Grundstudium, soziale Staffelung.

Doch ein solches Modell, rechnet der SPD-Hochschulexperte Bert Flemming vor, brächte in Berlin allenfalls 50 Millionen Mark pro Jahr – angesichts der 2,3 Milliarden Mark, die das Land pro Jahr für Hochschulen ausgibt, kein durchgreifender Beitrag zur Verbesserung der Studienbedingungen. Eine Abwehrhaltung, die der PDS-Abgeordnete Benjamin Hoff seinem Kollegen nicht recht abnimmt. Schließlich agiere die SPD stets nach dem Motto „Wir diskutieren über alles – so lange, bis wir umfallen“.

Einig sind sich die Hochschulexperten aller Parteien, daß die geplante Zahl von 85.000 Studienplätzen in Berlin zu gering ist. Doch während die CDU auch hier ausnahmsweise dem Realismus frönt und keine höhere Zahl ins Wahlprogramm geschrieben hat, fordern SPD, Grüne und PDS eine Anzahl von 100.000 Studienplätzen. Mehr Geld will aber auch die SPD nicht dafür ausgeben: Momper will „sehr teure Studienplätze zugunsten weniger teurer umprofilieren“.

Das Publikum läßt sich für solche Rechenspiele kaum begeistern. Folglich genießt das Thema auch bei der akademischsten aller Parteien, bei den Bündnisgrünen, keine hohe Priorität: Im Kampf um die vorderen Listenplätze ließen die Delegierten ihre profilierteste Bildungspolitikerin, Sybille Volkholz, eiskalt auflaufen. Und CDU-Frau Grütters gestattet sich gelegentlich Ausflüge in die Kulturpolitik, um der Tristesse der Bildungsdebatten zu entfliehen.

Walter Momper immerhin bemühte sich redlich, aufrichtiges Interesse am Geschick der Hochschulen zur Schau zu stellen. Die SPD, sagt er, habe „den Ehrgeiz, die Bildungsausgaben absolut und relativ so zu belassen, wie sie sind“. Und bei aller Betonung des „Standortfaktors“ vergißt Momper auch nicht, einen Satz über die „kritische Funktion von Wissenschaft“ hinzuzufügen. Nur einmal erweist sich der Kandidat als weniger sattelfest: als er eine „Experimentierklausel“ für die Hochschulen fordert. Die gibt es nämlich längst, beschlossen auch mit den Stimmen der SPD.

CDU-Frau Grütters gestattet sich gelegentlich Ausflüge in die Kulturpolitik, um der Tristesse der Bildungsdebatten zu fliehen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen