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Investieren in Frau

■ Offener Kanal, Teil 1: Drei Frauenredaktionen widmen sich Woche für Woche der Weiblichkeit in Oper, Terrorgruppe, Familie, Kunstgeschichte ...

Seit über fünf Jahren ist der Offene Kanal Kanzel, Kabarett und Kellerdisko des digitalen Zeitalters. In einer lockeren Folge werden wir ein paar Freaks, GaudiburschInnen, WeltverbesserInnen, Nachdenkliche, Engagierte und andere Normalwahnsinnige vorstellen. Weil der Offene Kanal am 24. Juli in seinen wunderschönen Räumen in Findorff umsonst ein Schnupperseminar für Frauen anbietet, widmen wir uns zunächst der sehr bunten, sehr engagierten Frauenradio-Szene. Aber auch deshalb, weil die Frauen die Qualitäten des Offenen Kanals mustergültig ausschöpfen. Da offerieren Radio DORA und Feminal freitags ab 17 Uhr schon mal eine geschlagene Stunde Inge Vieth, der Aktivistin des „2. Juni“, oder Leslie Feinberg, der Streiterin wider die Gender-Grenzen. Man läßt sich weder terrorisieren vom Bröckchenzwang des „richtigen“ Radios noch vom Diktat der gnadenlosen Lockerheit mit fester Haha-pro-Minute-Quote. Ernste Themen verdienen nämlich eine ernsthafte Auseinandersetzung.

Die Redaktionen von DORA, Venusfalle und Feminal bestehen aus drei beziehungsweise vier Frauen. Darunter eine Philosophin, eine Installateurin, eine Theaterpädagogin, eine arbeitslose Bootsbauerin. Neben den Wort-sendungen gibt es auch noch die Musiksendung der Sound Sistas.

taz: Wieviele Liter Angstschweiß sind bei Euren ersten Sendungen geflossen?

Angie (Venusfalle): Bei mir fließt er immer noch. Aber Lampenfieber hat ja auch seinen Reiz. Bei meiner allerersten Sendung vor eineinhalb Jahren aber war es richtig furchtbar. Dafür ging es mir nach der Sendung supergut.

Marianne (Feminal): Die ersten Male hörte sich natürlich alles steif und gestelzt an, weilll tu tenkst tu mußßßt kanz teutlich sprrrechen.

Erschrecken über die eigene Stimme?

Marianne: Klar. Und wenn wir das Band abhörten, haben wir uns wegen jedem kleinen Hintergrundgeräusch und jedem Überbrückungs-Äh und –Hmmm geschämt. Bis wir dann irgendwann begriffen, daß es auch bei Radio Bremen quietscht und knarzt.

Ute (DORA): Ich bin im April –98 zu DORA gestoßen. Bei meiner ersten Sendung habe ich mich komplett verrückt gemacht mit Fragen des technischen Ablaufs: Band rein, Mikro an, einblenden, ausblenden, überblenden ... Dabei war ich dafür gar nicht zuständig. Ich sollte ja nur lesen. Ich war gespalten wie Jekyll und Hyde: Während das Mundwerkzeug liest, beschäftigt sich das Hirn darüber mit irgendwelchen Knöpfen. Und natürlich wird der Mund schlagartig staubtrocken.

Mochtest Du Deine Stimme?

Ute: Ich hatte keine Probleme damit. Denn ich wußte schon vorher, daß ich sie schrecklich finden würde. Aber ich wußte auch, daß es fast allen Mitmenschen ebenso geht. Das muß man einfach verdrängen. Weil meine Stimme total hoch ist (was natürlich nicht die Spur stimmt) habe ich Birgit an der Technik angefleht, die Bässe hochzuziehen. Das funktioniert aber nicht.

Wird man durch die Radioarbeit selbstbewußter und gelassener.

Alle: Nein.

Marianne: Obwohl. Wenn ich früher einen falschen Knopf gedrückt habe, bin ich sofort knallrot geworden. Voller Adrenalinschub. Dann hektisches Rumfuhrwerken, wodurch erst recht alles falsch wird. Die anderen haben sich köstlich amüsiert. Heute laber ich entspannt über Pannen hinweg. Das nennt man Gewöhnung.

Ist der Offene Kanal für Euch der Einstieg in „richtige“, bezahlte Radioarbeit?

Alle: Nein.

Angie: Im Offenen Kanal hast du den Luxus, Themen zu beackern, die kleine Minderheiten beschäftigen – und vor allem Themen, die dich selbst beschäftigen.

Welches Feedback bekommt Ihr von den HörerInnen?

Angie: Welche HörerInnen?

Marianne: Also wir hatten mal einen Anruf in der Sendung über die Vergewaltigung von Mädchen. Interessanterweise von einem Mann. Der erklärte uns, daß auch Jungs vergewaltigt werden. Und weil mal eine Studie zum Ergebnis kam, daß auf einen Anruf tausend Hörer kommen, haben wir also tausend Hörer. Da spielt zum Glück die Qualität des Anrufs keine Rolle.

Angie: Wir bekommen wenig Rückmeldungen und wissen nicht, ob uns fünf oder fünftausend Menschen zuhören. Ich renne die ganze Zeit durch die Gegend und werbe: „Unsere Sendung, dann und dann, bitte reinhören.“

Marianne: Und trotzdem hatte ich am Anfang immer dieses Gefühl: O Gott, jetzt spreche ich zu Millionen. Radio, da kann ja jeder zuhören. Ich würde aber auch Radio machen, wenn kein einziger zuhört. Denn mir macht es Spaß, und unseren Gästen macht es Spaß. Das sind immerhin schon zwei.

Ute: Vor allem lernt man viel dazu. Man beschäftigt sich mit Themen und Menschen, von denen man ohne Radioarbeit niemals das Geringste erfahren würde.

Marianne: Zum Beispiel Schornsteinfegerinnen. Oder die Frauen vom Erotikshop.

Angie: Trotzdem lege ich auf Publikum Wert. Vor ein paar Monaten überfiel mich ein Rappel. Da dachte ich, wir müssen jetzt tausend komische Sachen verlosen und das Programm total umschmeißen, damit wir endlich mal einen Pieps von unserem Publikum zu hören bekommen.

Ute: Man müßte viel mehr Werbung machen. So mit Handzetteln. Man arbeitet sich tagelang an einem Thema ab, man produziert wunderbare Sachen. Aber dann fehlt die Zeit für den klitzekleinen Anruf bei der Zeitung mit Bitte um Meldung.

Dürfen auch Männer zuhören?

Ute: Klar, aber richten tun wir uns an Frauen. Das einzige Mal in unserer Geschichte, wo wir Konzertkarten verlost haben, haben wir entschieden: Ein Mann kriegt die nicht. Wollte zum Glück auch keiner.

Marianne: Das wäre bei uns nicht anders. Und wenn wir Musik spielen, ist nicht nur der Gesang von Frauen, sondern auch Text und Komposition.

Ute: Wir versuchen, die Musik auf den Inhalt abzustimmen. Beim Thema Antisemitismus darf es auch Klezmer-Musik von Männern sein.

Marianne: Ich kaufe CD's und Krimis nur noch von Frauen. Ich investiere lieber in Frauen.

Wie seit Ihr zur Frauenarbeit gekommen?

Angie: Ich habe mal in einem Kulturzentrum Mädchenvideoarbeit gemacht. Aber am Anfang stand vielleicht meine lesbische Liebe. Da interessiert man sich zwangsläufig für feministische Themen.

Ute: Ich wohnte mit einer Frau zusammen, die arbeitet bei DORA. Und das fand ich total spannend. Purer Zufall.

Marianne: Ich bin politisch interessiert. Und da merkst du sehr schnell, daß du an Frauenthemen nicht vorbeikommst. Und als nächstes merkst du, daß du dich schwerpunktmäßig damit beschäftigen mußt. Schon allein deshalb, weil es sonst keiner macht.

Was sind frauenpolitische Themen?

Marianne: Fast jedes Thema hat seinen frauenpolitischen Aspekt.

Der Kosovokrieg?

Ute: Na klar. Die Flüchtlingssituation ist für Männer und Frauen verschieden.

Angie: Auch in der Musikindustrie ist es zum Beispiel wichtig, daß sich Frauen organisieren, damit Frauen nicht nur als Darstellerinnen agieren, sondern auch Label-Politik machen können.

Marianne: Beim Festakt „50 Jahre Bremer Frauenausschuß“ wurden Lieder gesungen. Und was kommt? Schumann, Schubert. Ist ja wunderbar. Dabei gibt es auch eine Clara Schumann zum Beispiel. Das wird jetzt langsam aufgearbeitet. Aber noch immer wird Frauen weniger zugetraut. Das merke ich in meinem Beruf als Tischlerin. Wenn ich von Handwerkern eine Rechnung bekomme, geht sie schon mal an Herrn M. Kopp. Kommt jemand in die Werkstatt, fragt er, in welchem Lehrjahr ich bin. Dabei sehe ich nicht gerade aus wie 18. Schließlich bin ich 35. Sagt der Kerl dann, das sei doch ein Kompliment, daß er mich für eine Auszubildende hielt, schönes Kompliment. Und ein anderer Kunde meinte, er sei skeptisch gewesen, als der Chef sagte, er schicke ne Frau. Jetzt aber wäre er hochzufrieden. Na toll. Erst wenn sie das nicht mehr sagen müssen, ist alles gut.

Angie: Aber auch die Frauen müssen sich mehr zutrauen.

Ute: Unsere letzte Sendung machten wir zum Theama Unterwäsche. Übrigens ein Thema, über das im Alltag kaum gesprochen wird, aber kaum fragt man nach, sind die Leute nicht mehr zu stoppen. Bei Karstadt interviewten wir die Verkäuferin für Damenunterwäsche. Und permanent redete die von „dem“ Kunden hier, „dem“ Kunden da. Das sitzt einfach drin.

Marianne: Ich ließ mal einen notariellen Kaufvertrag machen. Steht da drin: „Marianne Kopp, im Folgenden Käufer genannt“. Sage ich: „Liebster Anwalt, das wird ja wohl noch möglich sein, daß ich KäuferIN genannt werde.“

Nehmen wir mal an, die Gleichberechtigung sei verwirklicht. Würdet Ihr weiter senden?

Alle: Klar.

Marianne: Frauenthemen sterben deshalb schließlich nicht aus.

Angie: Und auch nicht Mädchen, die ihre erste Menstruation kriegen.

Ute: Radio DORA macht aber nicht ausschließlich frauenpolitische Themen. In unserer Sendung über das Anne-Frank-Theaterstück ging es um Antisemitismus allgemein, am Beispiel eines Mädchens.

Angie: Wir schicken oft interessante Frauenbiografien über den Äther, auch wenn es dabei keinen frauenpolitischen Aspekt gibt.

Welche Rolle spielt für Euch feministische Theorie, das neuste Buch von Camille Paglia oder Judith Butler?

Angie: In der Sendung wenig.

Marianne: Die les' ich nicht mal.

Und wie gefällt Euch das Programm der Kolleginnen?

Ute: Ich gestehe, daß ich Euch bisher nie gehört habe.

Angie: Ich finde DORA toll, die Beiträge manchmal zu lang.

Marianne: Ich höre so gut wie nie Radio. Fragen: Barbara Kern

Frauenradiowerkstatt am 24.7., 10-17 Uhr. Anmeldung 3501011 bei Frau Baltschun.

Sendezeiten und Kontakt: Venusfalle, jeden 4. Do im Monat, Tel.: 3968249 (Sonja Höstermann); DORA (Tel.: 4341562 Ute Steineke), Feminal (Tel.: 3964855 Marianne Kopp), Queer Kanal und Sound Sisters jeden Freitag von 17-18 Uhr im Wechsel. Auf UKW 92,5 Mhz.

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