: Strukturierte Müllhalde
■ „Sculptures without a hero“, dafür mit Elch und Hase: Das Gerhard-Marcks-Haus dokumentiert Karel Appels Sinn für dadaistischen Humor
Karel Appel, neben Asger Jorn das prominenteste Mitglied der dänisch-belgisch-niederländischen prä-jungwilden Künstlergruppe COBRA (gegründet 1948/49), steht zu den Instinken unserer felltragenden Vorfahren. Der 78jährige war und ist Jäger und Sammler. Und irgendwie muß man beim Umkreisen seiner dreidimensionalen Riesenpuzzles im Marcks-Haus an Walter Benjamin denken, dem Liebhaber von Püppchen, Täss-chen und Spielzeug, dem jeder bunte Mist in einem Pariser Schaufenster als mysteriöses Zeichen für irgendetwas Höheres, Allgemeinmenschliches entgegensprang. Oder an den anderen großen B, Ernst Bloch, der seine verdächtige Liebe zu Trivialkulturen – Jahrmarkt, Operette, Zirkus – damit rechtfertigte, daß gerade im beschönigenden Kitsch des kleinen Mannes der „Vorschein“ einer erlösten, glücklichen, dauerheiteren Gesellschaft durchblitzen würde.
Auch Appel plündert gerne in den Niederungen von Kulturen, denen die Weihen des gehobenen Feuilletons gemeinhin versagt werden. Seine Träume sind seit den 90er Jahren zusammengebastelt aus dem Plunder von alten Karusellen, Faschingsumzügen, Dachböden, vielleicht auch von aufgelassenem Bühneninventar. Schließlich hat auch Asger Jorn gerne mal Flohmarkt-Bilder mit so empfindsamen Titeln wie „Hirschbrunst am Wilden Kaiser“ übermalt. Mit diesen komprimierten Volkskundemuseen en minature knüpft Appel an seine schwittersartigen Fundstück-Reliefs aus den 40ern an. Angeliefert wurden die Rundumplastiken in bis zu hundert Teilen. Eine Tortur für jeden Ausstellungsmacher. Für die üppigeren Skulpturen bekam das Marcks-Haus sogar extra eine neue, größere Seitentür verpaßt.
Wirklich gut trifft es sich, daß auch die vorige Ausstellung im Marcks-Haus einem postmodernen Kompositeur von strukturierten Müllhaufen gewidmet war. Doch bei den Assemblagen von A.R.Penck konnte man schon mal auf einen Videorekorder stoßen. Karel Appel dagegen schließt in seiner Materialsuche das Nahe und Gegenwärtige aus. Der Alltag des 20. Jahrhunderts zwischen vollautomatischem Zehennägelschneider, Dolbysurround und Zehngangschaltung existiert hier nicht. Das Modernste, was Appel zuläßt, sind Modelle von alten Doppeldeckerflugzeugen.
Neben der halben Besatzung der Arche Noah (Pferd, Hase, Elefant, Eule, Schwein, Frosch, Rind, Vogel, Katze, Fledermaus, Elch, Gnu, uff) – teils holzgeschnitzt, teils ausgestopft – hat er in den Trödelläden zwischen Italien, Mexiko, Indonesien und Amerika malerisch gerippte Fensterläden, alte Bettenrahmen, Geschnörkeltes, wie es unter Kirchenemporen hängt, gedrechselte Treppenpfosten, Masken, Gliederpuppen und bäuerische Gerätschaften (eine Weinpresse?, eine Kiepe?...) aufgetrieben. Der gesellschaftliche Zusammenhang, in dem zum Beispiel eine asiatische Holzdame angesiedelt gewesen sein mag, ist nicht mehr erkennbar. Das Depot des Völkerkundemuseums im ÜbermaxX läßt grüßen.
Dafür ist diese multikulturelle Melange ziemlich lustig. Ratlos guckt ein Bulle aus der Wäsche, dessen diverse Penisse an strategisch wenig günstigen Körperstellen angebracht sind. Und eine Winzigkeit von einem Regenschirm ist für den fetten Froschklops darunter viel zu klein. Wer aber soll durch umgekippte Türrahmen eintreten?
Im Cobra-Umfeld träumte die Situationistische Internationale um Guy Debore vom erfüllten Augenblick, vom Spektakel, hier und jetzt, anstelle politischer Planung für eine Zukunft, die eh niemals so kommt, wie man es möchte. Passend dazu suhlt sich Appels „Geschlachtetes Schwein mit Sonnenschirm“ im Glück des sonderbaren Einfalls, einfach so. Eine neue Serie von Scheiterhaufen (für einen Philosophen, für einen Vogel und für einen Jäger) dagegen möchte – so Arie Hartog vom Marcks-Haus – aufmerksam machen auf eine Gesellschaft, die angeblich alle Außenseiter verjagt und verbrennt. Gott sei Dank kann man diesen nicht unbedingt originellen gesellschaftskritischen Ansatz schlichtweg ignorieren.
Die komischen dubuffetartigen Eulen und Vögel, die Appel in den 60er Jahren aus den Windungen von Olivenbaumwurzeln herausgelesen und herausgeschabt hat, flattern jedenfalls in interesselosem Wohlgefallen, kunterbunt und kindgerecht. „Eine Familienausstellung“, wie Museumschefin Martina Rudloff schalkt. bk
Bis 10. Oktober, Di-So 10-18 Uhr
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