: Comics im Konzentrationslager
Die Wandmalereien in Sachsenhausen werden restauriert, einige entstanden nach 1945. Die DDR vereinnahmte Hans Fischerkösens Zeichnungen als KZ-Kunst ■ Von Martina Madner
Die Treppe führt hinunter in den muffigen Vorraum eines Kellers. Es geht vorbei an einer Lenin-Büste und Bergen von Papier. Endlich hebt sich die düstere Stimmung, als man in einen Raum tritt, der bis auf ein Wasserbecken in der Mitte leer geräumt ist.
Im fahlen Kellerlicht erkennt man Zeichnungen an der Wand: Gurken, die sich selbst hobeln, Kartoffeln, die sich gegenseitig schrubben, Tomaten, Möhren und Kürbisse. Die Gemüsegesichter lachen, stilisierte Arme und Beine strampeln. Daneben ist eine Landschaft zu sehen, Bäume, ein See, große, bunte Blumen wie auf Großmutters Sonntagsgeschirr.
Die Comics befinden sich im ehemaligen Konzentrationslager und späteren Internierungslager Sachsenhausen. Das Wasserbekken und die Bilder sind die letzten Zeugnisse der einstigen Nutzung des Kartoffel- und Gemüseschälkellers, in dem Inhaftierte schnippelten und geschunden wurden.
„Lange Zeit hat man angenommen, daß Häftlinge des Konzentrationslagers, tschechische Studenten, diese Bilder gemalt hätten“, berichtet Winfried Meyer, stellvertretender Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen. Heute weist alles darauf hin, daß nur die Blumen und Landschaften von früheren KZ-Insassen stammen.
Hinter dem Maler des Gemüses steckt dagegen der Trickfilmzeichner Hans Fischerkösen, der als „deutscher Walt Disney“ bezeichnet wird. Er ist in den zwanziger Jahren mit seinen vermenschlichten Gegenständen bekannt geworden. Er zeichnete Schuhe und Möbel mit Gliedmaßen und Gesichtern. Seine Werbetrickfilme für C & A und das Stärkemittel Mondamin wurden in den Ufa-Kinos gezeigt.
Nach einigen Märchentrickfilmen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs stellte Fischerkösen Tricksequenzen für militärische Lehrfilme des Oberkommandos der Wehrmacht her – vermutlich der Grund für seine Internierung 1945 durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD im Speziallager 7 in Sachsenhausen.
Die DDR vereinnahmte nach 1950 Fischerkösens Fresken für ihre antifaschistische Gedenkkultur. Die Leitung der damaligen Mahn- und Gedenkstätte propagierte die Malereien als KZ-Häftlingskunst. Sie bezog sich auf Aussagen im Prozeß gegen den Kriegsverbrecher und früheren Chef der Häftlingsküche, SS-Hauptscharführer Bernhard Rackers. In seinem Prozeß sagte ein tschechischer Student und Kunstmaler aus, daß Mitgefangene die Gemüse gezeichnet hatten. Noch 1986 ließ die Gedenkstätte sich das im Rahmen eines geplanten Filmprojekts über Kunst im KZ von ehemaligen Häftlingen des KZs bestätigen.
Erste Zweifel kamen 1988 in einem Gutachten eines Kunstwissenschaftlers der Staatlichen Museen zu Berlin auf. In einer Expertise von 1993 bestätigten sich die Zweifel an der Datierung, die Gemüsezeichnungen kamen erst nach 1945 zustande. Das Blumendekor, vermutlich das Werk eines ausgebildeten Graphikers, und die Landschaft, die von einem Laienmaler stammt, wurden dagegen während der Zeit des Konzentrationslagers gemalt.
Daß aber diese KZ-Zeichnungen einen „Aufruf zum Widerstand und Kampf“ beinhalten, wie in der DDR dargestellt, kann sich Meyer nur schwer vorstellen: „Die Bilder sind wahrscheinlich Auftragszeichnungen oder wurden von der SS zumindest geduldet.“ Wie Fischerkösen an Farben und Malutensilien kam, wie er überhaupt die Möglichkeit zum Malen an den gekalkten Wänden hatte, ist nicht bekannt.
Der Trickfilmmann wurde 1948 aus der Haft entlassen und produzierte wieder Animationen. Es entstand eine Serie in zwölf Teilen über Linde-Kaffee, in der Kaffeekannen über die Leinwand rasen. Fischerkösen wurde vor allem bekannt durch „Onkel Otto“, das Pausenmaskottchen des Hessichen Rundfunks: ein Seehund mit Antenne auf dem Kopf, der nach dem Tod des Zeichners 1974 lange weiterverwendet wurde.
Die Gedenkstätte Sachsenhausen möchte mit einem dezentralen Gesamtkonzept die historische Bedeutung des Konzentrationslagers herausarbeiten. Die Geschichte des Ortes soll in den authentischen Gebäuden in zehn neuen Dauerausstellungen veranschaulicht werden. Eine chronologisch gegliederte Überblicksausstellung in der ehemaligen Häftlingsküche soll an die jeweiligen Orte verweisen.
Fischerkösens Werke und die der Konzentrationslagerhäftlinge sind noch nicht zu besichtigen. „Wir haben erste Schritte zur dauerhaften Sicherung der Wandzeichnungen eingeleitet“, sagt Winfried Meyer. Die Kosten der Sanierung und der Ausstellung werden rund 3,4 Millionen Mark betragen. Erst im Jahre 2001 werden Blumen, Landschaften und das menschliche Gemüse für Gedenkstättenbesucher zugänglich sein. Bis dahin muß man sich mit einem Blick auf Fischerkösens Wandmalereien im Infoblatt zum sowjetischen Speziallager Nr. 7 begnügen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen