: König Hassans vergessene Opfer wollen nicht mehr schweigen
■ Ehemalige „Verschwundene“ aus der Westsahara wünschen sich von Marokkos neuem Herrscher Gerechtigkeit – aber ohne große Hoffnung
Rabat (taz) – Rahmouni Daha ist alles andere als diplomatisch. „Als König Hassan II. starb, war ich kein bißchen traurig“, sagt der junge Mann aus El Aayun, Hauptstadt der seit 1975 von Marokko besetzten ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara. Ob er keine Angst habe, sowas zu sagen? „Nein. Was sollen die mir noch antun, was sie nicht bereits mit mir gemacht haben?“
Rahmouni Daha gehört zum „Komitee zur Koordination der ehemals verschwundenen Sahrauis“. Zusammen mit elf weiteren Leidensgenossen lebt er seit August 1998 in einem kleinen Hotel in Rabat. Hier in der marokkanischen Hauptstadt wollen sie erreichen, „daß endlich Gerechtigkeit geübt wird“.
Rahmouni Daha wurde im November 1987 mit weiteren 80 Sahrauis von der marokkanischen Armee in El Aayun festgenommen, kurz vor dem Besuch einer UN-Delegation. Erst wurde er in Baracken in der Nähe des Flughafens gebracht, dann in eine ehemalige spanische Kaserne am Rande der Stadt. „Dort begruben sie mich lebendig“, sagt Daha. Über vier Jahre durfte er in seiner engen Zelle nur zwei Stunden täglich schlafen. Den Rest mußte er mit dem Gesicht zur Wand stehen, meist völlig nackt. Hofgang gab es nicht. Seine Augen waren ununterbrochen verbunden.
1991 wurde die Weltöffentlichkeit auf Marokkos geheime Haftzentren aufmerksam. Insgesamt 320 Sahrauis wurden daraufhin entlassen. Viele von ihnen waren bereits 1976 verschleppt worden. Das Komitee verfügt über eine Liste mit noch 400 Vermißten.
Die meisten der freigelasssenen Opfer leiden bis heute unter Spätwirkungen der menschenverachtenden Haftbedingungen. „Ich habe Rheuma, Magen- und Darmgeschwüre, ständige Kopfschmerzen, ein schlechtes Erinnerungsvermögen, und ich sehe schlecht“, zählt der erst 31jährige Daha die lange Liste seiner Krankheiten auf. 57 Gefangene überlebten nicht, 15 starben bisher an den Spätfolgen. „Das sind nur die, von denen wir wissen, was mit ihnen passiert ist“, gibt Daha zu bedenken.
„Wir haben bis heute keine Entschädigung bekommen“, beschwert sich Daha. Auch ihre Papiere werden ihnen vorenthalten. Sie können deshalb weder reisen noch arbeiten. Dahas Delegation lebt von Spenden der Familien der Entlassenen.
Immer wieder haben sahrauische Delegation Petitionen an Marokkos Regierungschef Abderrahmane Youssoufi gerichtet. Der Sozialistenführer war einst selbst Opfer der Repression von Hassan II. Das weckte Hoffnung in Daha und den Seinen. Doch schnell mußten sie lernen: In Sachen Sahara sind sich alle einig, von links bis rechts akzeptieren alle, was König Hassan II. vorgab: Es handele sich nicht um eine Besatzung, sondern um die Rückführung ur-marokkanischen Gebietes ins Vaterland. Selbst die unabhängigen Menschenrechtsorgansiationen unterstützen die sahrauischen Repressionsopfer nur bedingt. „Der Premierminister hat nichts zu geben“, lautete denn auch die abschlägige Antwort eines Regierungsbeamten an die Ex-Verschwundenen.
Die Sahrauis glauben nicht, daß sich ihre Situation mit dem neuen König Mohammed VI. verbessern wird. „Vielleicht macht er einige Reformen hier in Marokko, aber die Westsahara ist heilig. Nachgeben würde ihm als Schwäche angekreidet“, zeigt sich Daha äußerst pessimistisch. Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Die Männer sterben, die Regime bleiben.“
Reiner Wandler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen