: Panzer zum Wohl der Umwelt
Die taz hamburg macht Ausflüge in Hamburgs Naturschutzgebiete. In der heutigen zweiten Folge: Hamburgs jüngstes Naturschutzgebiet Höltigbaum und das Stellmoorer Tunneltal ■ Von Gernot Knödler
Beverly beschnüffelt eine alte Bekannte. Hinten. Die alte Bekannte beschnüffelt Beverly. Ebenfalls hinten. Und dann drehen sie sich schnüffelnd im Kreis, weil keine die andere so ganz nah an sich ran lassen möchte. Den ganzen weiten Weg durchs Naturschutzgebiet Höltigbaum könnte das so gehen. Denn nachdem die Bundeswehr das Gebiet in Hamburgs Nordosten als Standortübungsplatz aufgegeben hatte, übernahmen Zivilisten das Gebiet – zwecks Hundeauslauf und Naherholung.
Helmut Windisch, der für den Verein Jordsand Hamburgs jüngstes Naturschutzgebiet betreut, hat den Beweis dafür, daß der Konflikt zwischen Naturschützern und Erholungsuchenden noch nicht ausgestanden ist am Auto: An der Seitenfront seines grünen Audi-Avant zieht sich ein Kratzer entlang. Aufkleber am Wagen verkünden überdeutlich, daß mit ihm der Schutzgebietsbetreuer unterwegs ist.
Im Naturschutzgebiet Höltigbaum werden Zäune zerschnitten, Hinweistafeln bekrakelt und Wiesen zerfahren. „Früher fuhren hier die Panzer durch, und jetzt darf mein Hund hier nicht laufen“, ist ein Argument, das der pensionierte Kaufmann mit dem hellgrünen Ranger-Hemd alle naselang zu hören kriegt. Dabei ist ein Teil dessen, was heute am Höltigbaum als schützenswert gilt, erst durch die Panzerketten und Kampfstiefel der Armee entstanden: eine heute halboffene Landschaft aus Heide, Trockenrasen und mit weiten Grasflächen, durchsetzt mit Feuchtgebieten aus naturnahen Laubwäldern.
Sie ist so schön geworden, daß die Umweltbehörde heute mit einigem Aufwand sogar die Schäden zu simulieren versucht, die die Panzer der Bundeswehr in dem Gebiet angerichtet haben. Rinder und Schafe fressen die zarten Triebe von Bäumen und Büschen. Sie brechen Äste und Zweige ab und öffnen so die Tür für die Nachtfalter, die ihre Eier in den Bast der Bäume legen. „Das ist eines der nachtfalterreichsten Gebiete Hamburgs“, sagt Andreas Eggers vom Naturschutzamt der Umweltbehörde.
An den Bruchkanten der halbmetertiefen Panzerspuren hätten sich früher Eisvögel ihre Nisthöhlen gegraben, erzählt Windisch. Mit der Armee seien die kompakten, schillernd blauen Vögel jedoch verschwunden. „Was viele nicht glauben wollten“, sagt Windisch dazu: „Zu Bundeswehrzeiten hatte das Viehzeug größere Chancen als heute.“
Wir wandern einen Schildrücken entlang, einen flachen langgestreckten Hügel, der von einer Eiszeit aufgeschoben und von der nächsten flachgehobelt wurde. Zur Rechten liegt ein zerwühlt aussehendes Gebiet aus lauter solchen „Drumlien“ und aus „Osern“, bananenförmigen Schuttablagerungen in den Kurven ehemaliger Flüsse, durch die das Wasser der abschmelzenden Gletscher schoß.
Stacheldraht hindert Mensch und Hund daran, durch die Wiesen zu spazieren und Bodenbrüter wie zum Beispiel die Feldlerche oder den Kiebitz zu erschrecken. Hinterm Zaun wächst das Bergsandglöckchen – die Blüte sieht aus wie ein fünfmarkstückgroßer blauer Busch – und das Tausendgüldenkraut mit seinen rosafarbenen vergißmeinnicht-ähnlichen Blüten. Am Fuß der kleinen Täler verfärbt sich das Gras oft saftig dunkelgrün; mal wachsen Büsche, mal kleine Bäume auf und an den Drumlien und Osern, mal bloß Gras.
Ob es die Rinder und Schafe schaffen werden, diese „halboffene Weidelandschaft“ zu erhalten, muß sich erst noch zeigen. Zu diesem Zweck ist der Höltigbaum auf Antrag der Stiftung für Naturschutz unter die zehn Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben des Bundes aufgenommen worden. Zwei Drittel der Kosten trägt nach Angaben Eggers' der Bund, die Forschung bezahlt Berlin komplett.
Zwar kann das Gut Wulfsdorf seine Rinder als Öko-Schlachtvieh verkaufen und der Verein Jordsand seine Schafe scheren lassen, trotzdem bleibt das Beweiden des Naturschutzgebietes ein Zuschußgeschäft. Der Beweis in Form von mühevoll geflickten Zäunen ist überall am Wegesrand zu betrachten. Knips, knaps – so ist mit dem Seitenschneider ein Pfad wieder eröffnet. Macht sicher Spaß zu sehen, wie – zing! – der Stacheldraht nach links und rechts wegfedert.
Dazu kommt, daß der Bauer wegen des merkwürdigen Humors mancher Zeitgenossen täglich nach seiner Herde sehen muß. Erst kürzlich machten sich irgendwelche Unbekannte einen Spaß daraus, die Kühe zu hetzen. Ein Rind ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.
Am liebsten sind Windisch deshalb die Rollerblade-FahrerInnen. Sie kommen wegen der weitläufigen Panzerstraßen aus Beton und haben im Gegensatz zu Mountain-Bike-FahrerInnen gar kein Interesse daran, mit ihren kleinen Plastikrollen durchs Gelände zu brechen.
Für ReiterInnen gibt es eine Extra-Spur neben der Betonpiste und für Hunde hat die Umweltbehörde zum Zwecke der Deeskalation einen Tummelplatz eingezäunt. Hier läßt Helmut Windisch seine Beverly von der Leine. Eine Wiese, ein Knick, eine Schonung und Wege aus Rindenschnitzeln bieten Auslauf für Herr und Hund.
Der Hundetummelplatz liegt am Eingang Eichberg, zwei Kilometer vom S-Bahnhof Rahlstedt entfernt. Schneller in der Natur sind Ausflügler, die in Ahrensburg aus der S-Bahn steigen. Von dort aus sind sie schon nach ungefähr einem Kilometer im schleswig-holsteinischen Naturschutzgebiet (NSG) Ahrensburger Tunneltal, das ins hamburgische NSG Stellmoorer Tunneltal übergeht und dieses wiederum längsseits in den Höltigbaum.
Von der Betonpiste auf dem hohen Schildrücken mitten im Höltigbaum läßt sich das Stellmoorer Tunneltal gut überschauen: Der Blick schweift über eine Wiese aus Straußgras mit Fruchtständen wie Baumwipfelchen. Vor dem Berg einer ehemaligen Mülldeponie zeichnet das dunkelgrüne Band eines Erlenbruchs den Lauf der Wandse nach. Vor wenigen Jahren erst ist der Fluß in sein ursprüngliches Bett zurückverlegt worden.
Das Stellmoorer Tunneltal ist ebenfalls das Produkt einer Eiszeit. Abschmelzendes Gletscherwasser wusch ein Flußbett in die Erde und floß unter der Eiskappe wie in einem Tunnel davon. Das Schutzgebiet ist schmal und lang. An seiner breitesten Stelle mißt es keine anderthalb Kilometer.
Mittendurch führt die S-Bahnlinie nach Ahrensburg und der Hamburger Stadtteil Meiendorf hat darin Metastasen gebildet. Die Verbindung mit dem Höltigbaum erweitert die Ausbreitungsmöglichkeiten von Tieren und Pflanzen und erleichtert ihnen dadurch das Überleben am rande der Metropole.
Im Osten, an der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein, geht die Landschaft in eine Ebene über, für die sich der Begriff Heide aufdrängt, auch wenn dort kein Heidekraut gedeiht: Niedrige Gräser und Stauden wachsen hier, ab und zu unterbrochen von Büschen.
Hätte sich das Militär das Gebiet nicht unter den Nagel gerissen, wäre hier heute sicher ein Acker. Mit modernen Methoden könnten Bauern auch diesem armen Boden einen akzeptablen Ertrag abringen. So ist der Höltigbaum „das einzige Gebiet in Hamburg, wo kein Kunstdünger und keine Pestizide eingesetzt wurden“, sagt Andreas Eggers, mehr als 60 Jahre lang.
Dafür gibt es hier Käferarten, die nirgendwo sonst in Norddeutschland vorkommen. Für Laien sind sie allerdings kaum auszumachen: „Die Käfer, die hier selten sind, haben alle diese Größe“, sagt Eggers und zeigt einen winzigen Spalt zwischen Daumen und Zeigefinger.
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