: Scharoun setzt sich durch
Überraschend entschied das Berliner Parlament, das Kulturforum im Sinne seines Erfinders weiterzubauen ■ Von Uwe Rada
Durchkämmt man die Hauptstadt nach städtebaulichen Reizthemen, so liegt das Kulturforum zwischen Tiergarten und Potsdamer Platz mit Sicherheit ganz vorne. Der Clinch um die Vollendung der von Hans Scharoun ab 1959 erbauten Stadtlandschaft reicht – anders als die Diskussion um den Neubau des Stadtschlosses oder den Erhalt des Palastes der Republik – weit in die Westberliner Zeit zurück. Galt das Kulturforum mit der weltberühmten Philharmonie seinen Gegnern als „unwirtliches Fragment moderner Nachkriegsarchitektur“, setzten sich andere, wie der Architekt Edgar Wisniewski, für den Weiterbau im Sinne des 1973 verstorbenen Enfant terrible der Nachkriegsmoderne ein.
Nun ist der fast schon zur Glaubensfrage avancierte Dauerstreit in eine neue Runde gegangen. Auf seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause verabschiedete das Berliner Abgeordnetenhaus einen Gruppenantrag von über 30 Abgeordneten der SPD, CDU und Bündnisgrünen, das Kulturforum nach Vorstellung seines Erfinders Hans Scharoun zu vollenden.
Schallender hätte diese Ohrfeige vor allem für Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) nicht ausfallen können. Wenn man das Ganze schon nicht abreißen kann, so lautete seit geraumer Zeit dessen Devise, so soll man es wenigstens links liegenlassen. Statt das Ensemble, das aus organisch angeordneten Solitärbauten wie der Philharmonie, dem Kammermusiksaal, der Neuen Nationalgalerie oder dem Musikinstrumenten-Museum besteht, um ein bereits von Scharoun geplantes „Haus der Mitte“ zu ergänzen, hatte Strieder anläßlich der Eröffnung der neuen Gemäldegalerie im vergangenen Jahr einen Wettbewerb ausloben lassen. Ein neues Gebäude, das unter anderem als Gästehaus für Künstler, aber auch als Ort der Begegnung samt Cafés genutzt werden sollte, stand dabei freilich nicht zur Debatte. Vielmehr schlugen die Sieger des Wettbewerbs, die Architekten Hilmer und Sattler, an diesem Ort eine Freifläche vor. Darüber hinaus sollten zwei siebengeschossige Torbauten den Anschluß des Kulturforums zum Potsdamer Platz gewährleisten.
Überraschen konnte dieser Vorschlag kaum. Schließlich waren Hilmer und Sattler bereits als Sieger aus dem städtebaulichen Wettbewerb zum Potsdamer Platz hervorgegangen. Und dessen Architektur kann man getrost als Stein gewordene Aversion gegen die Stadtlandschaft Scharouns interpretieren. Ein Akt der Aggression wiederum, den die Scharoun-Erben mit der Verfügung beantworteten, die Staatsbibliothek auf dem Kulturforum nicht in Richtung Potsdamer Platz zu öffnen.
So war es kein Wunder, daß auch der Striedersche Wettbewerb den Dauerstreit nicht beenden konnte. Im Gegenteil: Kurz nach Beendigung des Wettbewerbs sprach der Stadtentwicklungsausschuß des Abgeordnetenhauses ein Machtwort und stufte den Hilmer-Sattler-Entwurf als „Provisorium“ herunter. Statt Torhäuser zu bauen, durfte Strieder lediglich einen Rollrasen verlegen und auf dem Gelände des geplanten „Hauses der Mitte“ ein paar Götterbäume pflanzen lassen. Ohnehin, so die Argumentation im Ausschuß, habe Strieder einen Beschluß des Senats verletzt, demzufolge vor einer Entscheidung über das Kulturforum zunächst abgewartet werden soll, wie sich die Neubauten am Potsdamer Platz auf das Areal auswirken.
Für Michael Arndt, den baupolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, ist mit Strieders Wettbewerb freilich die Debatte um das Kulturforum wieder eröffnet. „Der Potsdamer Platz ist längst fertig“, zeigt er sich ungehalten über das „unwürdige Spiel“. Nun müsse die Diskussion um die Vollendung der Scharoun-Planung forciert werden. „Daß das Areal unbebaut bleibt“, sagt er, „können nur Phantasten erwarten.“
In der Tat erschließt sich die städtebauliche Philosophie des Kulturforums nicht – wie so oft im einförmigen Allerlei des „Neuen Berlin“ – von außen nach innen, sondern in umgekehrter Richtung. Das gilt nicht nur für die als „gebaute Musiklandschaft“ gepriesene Philharmonie, in deren Mittelpunkt das Orchester und die Akustik steht – und nicht die Repräsentation der Außenfassaden. Es gilt auch für die Komposition der einzelnen Gebäude selbst. Wenn Strieder einen klar definierten Zugangsbereich zum Ensemble des Kulturforums vermißt und ihn mit den Torbauten schaffen will, verwehrt er sich gerade der Idee dieser Stadtlandschaft, die davon ausgeht, daß das Ganze nur von innen her, von eben jenem „Haus der Mitte“, erlebbar wird. Deutlicher könnte die Kluft zwischen dem modischen Faible für die Verpakkung auf der einen Seite und dem modernen Einklang von Inhalt und Form auf der anderen nicht sein.
Mittlerweile, so wird gemunkelt, habe es aber auch in der SPD-Fraktion einen „Ruck“ gegeben. Etwas nervös geworden wegen mehr als 30.000 Unterschriften, die die Befürworter der Scharoun-Planung in den bildungsbürgerlichen Kreisen der Stadt gesammelt haben, soll auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Böger, der sich offiziell aus dem Streit heraushält, Abstand zu den Plänen seines Stadtentwicklungssenators genommen haben. In dessen Hause freilich versucht man das Parlamentsvotum für den Bau des „Hauses der Mitte“ herunterzuspielen. „Das bedeutet gar nichts“, beschwichtigt Strieders Sprecher Joachim Günther, der die Scharounsche Planung ohnehin als „Kampfbegriff“ begreift.
Ganz anders sieht das die frühere grüne und nun fraktionslose Abgeordnete Ida Schillen: „Jetzt muß der Senat in die Grundstückverhandlungen treten, um den Bau des Hauses der Mitte auf den Weg zu bringen.“ Schließlich habe sich Berlin lange genug dadurch ausgezeichnet, „unglaublich und jämmerlich mit diesen herausragenden Kulturbauten umzugehen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen