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Litauens Regierung schützt weißrussischen Dissidenten

■ Geflohener Parlamentspräsident kriegt im Nachbarland staatliche Bodyguards. Nun holt Weißrußlands Herrscher aus zum großen Schlag gegen kritische Medien

Berlin (taz) – Zumindest Litauens Regierung scheint den Ernst der Lage für Oppositionelle in Weißrußland erkannt zu haben: Seit gestern genießt Semjon Scharetzki, Parlamentspräsident der letzten legitimen und 1996 aufgelösten weißrussischenVolksvertretung, in Vilnius den offiziellen Schutz des litauischen Staates und wird künftig von zwei Bodyguards bewacht. Der 63jährige Scharetzki war aus Angst vor einer Verhaftung durch den weißrussischen Sicherheitsdienst vor einer Woche nach Litauen geflohen. „Scharetzki ist eine hohe offizielle Persönlichkeit und mein Amtskollege“, begründete Litauens Parlamentspräsident Vytautas Landsbergis die verschärften Sicherheitsvorkehrungen.

Die Reaktion des weißrussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko, der Kritiker lieber in privatissimo zusammenschlagen und verhaften läßt, ließ nicht lange auf sich warten. „Plötzlich gibt Scharetzki bekannt, daß er verfolgt wird, flieht nach Vilnius und führt dort die Menschen in die Irre“, sagte Lukaschenko in einem Interview, das die Staatsblätter Sowjetskaja Belorussija und Zwjasda veröffentlichten. „Ehrlich gesagt, das alles kann man nicht ernst nehmen. Anderseits wird uns das hier keine großen Probleme bereiten.“

Die haben derzeit wieder einmal diejenigen, die sich für Demokratie und Menschenrechte in dem 10-Millionen-Einwohner-Staat einsetzen. In der vergangenen Woche waren bei einer Protestaktion in Minsk anläßlich des Endes der regulären Amtszeit Lukaschenkos 53 Personen verhaftet wurden. Am vergangenen Dienstag schlugen Lukaschenkos Schergen erneut zu. Während einer Demonstration zum Gedenken an den weißrussischen Unabhängigkeitstag wurden wieder Dutzende Demonstrationsteilnehmer verhaftet, unter ihnen auch der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Mikolai Statskewitsch.

Gleichzeitig erhielten die staatlichen Medien genaue Anweisungen für die korrekte Berichterstattung über die Wohltaten der fünfjährigen Herrschaft Lukaschenkos. Kurz zuvor hatte sich Lukaschenko den Generaldirektor des Staatsfernsehens, das über die Demonstrationen in Minsk berichtet hatte, vorgeknöpft: „Sie täten besser daran, in die Provinz zu gehen und zu berichten, wie die einfachen Menschen auf dem Land leben“, tönte der Präsident.

Gleichwohl bieten die jüngsten Ereignisse dem Regime auch wieder eine willkommene Gelegenheit, gegen die wenigen verbliebenen kritischen Medien vorzugehen. Irina Kalip, Chefredakteurin der Wochenzeitung Imja wurde kurzzeitig verhaftet. Auch Alexej Chidlowski, Korrespondent der Zeitung Nawini, gewährte die Miliz eine Audienz. Er hatte über eine Demonstration der oppositionellen Volksfront (BNF) berichtet. Gegen die Zeitung Belorusskaja Delowaja Gazeta läuft ein Prozeß wegen „zweifelhafter Berichterstattung über eine Gerichtsverhandlung gegen einen Oppositionellen. Der Zeitung droht jetzt eine Geldstrafe von umgerechnet rund 75.000 Mark. „Wenn das so durchgezogen wird“, sagt ein Korrepondent des Blattes, „ bedeutet das unter den derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen für uns das Aus.“ Barbara Oertel

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